Whistleblower Abdullah Ibhais ist nach dreieinhalb Jahren Haft in Katar, dem Gastgeberland der WM 2022, wieder frei. Im Interview mit der Sportschau spricht er erstmals offen über seine Inhaftierung, die FIFA und seinen Kampf um Gerechtigkeit.
Der Blick schweift ruhig über die Dächer von Amman. Abdullah Ibhais ist zurück in seiner Heimat nach dreieinhalb Jahren in katarischer Haft – einer Zeit, in der er nach eigener Aussage systematisch zum Schweigen gebracht werden sollte. „Ich war ein Gefangener dieser Weltmeisterschaft“, sagt er der Sportschau.
Es ist das erste Mal seit seiner Freilassung im März 2025, dass er sich öffentlich äußert. Die Sportschau trifft ihn in der jordanischen Hauptstadt Amman, wo er heute mit seiner Familie lebt. Die Vergangenheit, die ihn bis heute beschäftigt, liegt in Katar – dort, wo ein sportliches Großereignis zum politischen Prestigeprojekt wurde und für ihn alles zerbrach.
Abdullah Ibhais – der Mann, der nicht schweigen wollte
Abdullah Ibhais war Kommunikationsmanager im Organisationskomitee (OK) der Fußball-WM 2022 – bis er begann, unbequeme Fragen zu stellen. Im August 2019 kam es rund um Doha zu wilden Streiks und Demonstrationen von Gastarbeitern, darunter auch WM-Bauarbeiter. Hunderte forderten die Auszahlung ausstehender Löhne.
Was folgte, war eine interne Auseinandersetzung im OK um die Deutungshoheit. Der damalige Chef des WM-Komitees, Hassan Al-Thawadi, verlangte vom Kommunikationsteam, einen „Spin„zu veröffentlichen. Abdullah Ibhais widersprach deutlich. Er plädierte dafür, die wahren Gründe der Streiks offenzulegen – und damit Verantwortung zu übernehmen. Die Folge war ein offener Konflikt mit der Führungsspitze rund um Al-Thawadi.
Die Debatte wurde intern dokumentiert – durch zahlreiche Chatverläufe und Mails. Ibhais wurde im Anschluss von dem Arbeitsbereich rund um Gastarbeiter ausgeschlossen. Im Oktober 2019, zwei Monate später, startete das WM-Komitee eine Untersuchung gegen Ibhais aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Zusammenhang mit einem Social-Media-Auftrag.
Als Ibhais merkte, dass gegen ihn ermittelt wird, entschloss er sich, seine Unterlagen zu sichern. Im April 2021 wurde er vor Gericht für schuldig befunden und zu fünf Jahren Haft verurteilt, die später auf dreieinhalb Jahre reduziert wurde. Er hat stets seine Unschuld beteuert. Zu diesem Zeitpunkt war Abdullah Ibhais aufgrund seines Berufungsverfahrens noch nicht im Gefängnis.
Im Herbst 2021, übergab er dann diverse interne Dokumente an Menschenrechtsorganisationen sowie dem WDR-Magazin Sport inside und der Sportschau, um die Willkür der Vorwürfe gegen ihn zu belegen. Die Berichte zeigen, dass er sich für Aufklärung und menschenwürdige Behandlung der Gastarbeiter eingesetzt hatte – und genau deshalb unter Druck geraten war. Wenige Tage nach den ersten Veröffentlichungen über seinen Fall wurde er in Katar verhaftet.
„Es war das Gefühl völliger Hoffnungslosigkeit“
Die Haftbedingungen beschreibt Ibhais als menschenunwürdig: überfüllte Zellen, keine Hygiene, keine medizinische Versorgung, unzureichendes Essen. Doch das Schlimmste, sagt er, sei das Gefühl völliger Hoffnungslosigkeit gewesen.
Jede Kontaktaufnahme nach außen wurde sanktioniert, Besuche verweigert, Telefonrechte entzogen, Isolation angeordnet. Zwischenzeitlich trat er in Hungerstreik. Ein Hoffnungsschimmer: Die Beschwerde bei der UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen. Sie kommt im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass seine Inhaftierung willkürlich und ohne Rechtsgrundlage gewesen sei. „Als ich deren Urteil bekam, fühlte es sich endlich an, als würde jemand anerkennen, was mir angetan wurde“, sagt er.
„Katar wurde nicht zur Rechenschaft gezogen. Die FIFA auch nicht“
Auch in Freiheit will Ibhais nicht schweigen: „Ich werde alles versuchen, um Gerechtigkeit zu erlangen denn Katar wurde bislang nicht zur Rechenschaft gezogen. Und auch die FIFA nicht.“ Er prüft juristische Schritte – in der Schweiz, in den USA, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. „Es geht mir nicht nur um meine persönliche Geschichte“, sagt er: „Sondern darum, dass jemand anerkennt: Ja, diese Verstöße gab es. Ja, sie wurden vertuscht. Und ja, jemand muss dafür Verantwortung übernehmen. Für mich – und für die Arbeiter, die gelitten haben.