Weite Reisen durch fremde Welten, exotische Länder oder gar Lichtjahre entfernte Galaxien unternehmen, ohne sich vom Fleck zu rühren: Das geht durchaus. Wer damit virtuelle 3D-Räume assoziiert, liegt sicher nicht falsch, denkt aber zu kompliziert. Es geht einfacher und kostet (fast) nichts: in der Fantasie. Man schließt die Augen, und schon kann die Reise beginnen. Damit das auch auf Anhieb gelingt, ist die entsprechende Musik sehr hilfreich. Sozusagen Kino für die Ohren, das Bildanregungen liefert, die man sich dann aber vor dem inneren Auge nach eigenem Gusto ausmalen kann. Die italienische Musikerin aus Verona, Laura Masotto, hat diese Art der musikalischen Kreation schon vor vielen Jahren für sich entdeckt.
Nach dem klassischen Violinstudium am Konservatorium von Verona arbeitete sie bei Theaterprojekten mit und spielte sozusagen als ein Eine-Frau-Orchester mit anderen Musikern zusammen. Erst 2019 kam ihr erstes Soloalbum heraus. Tatsächlich vermag Laura Masotto mit ihrer Geige und elektronischen Helfern Musik in orchestraler Größe zu kreieren. Optisch stellt sich das auf der Bühne etwas karg dar. Ein Tisch mit einem Mini-Laptop und ein paar kleinen elektronischen Geräten, einige mit dem Fuß bedienbar auch auf dem Boden und die verkabelte Solistin mit der Geige: Das war’s.
Im Gautinger Bosco sorgte am vergangenen Freitag im Grunde eine effektvolle Lichtdramaturgie für einen wirkungsvolleren Auftritt der etwas vereinsamt anmutenden Musikerin, die da in sich versunken für fremdartige Klänge und Geräusche sorgte. Das geht natürlich auch ohne Geige, was aber kein spannendes Bild abgab. Masotto dabei zuzuschauen, wie sie Schalter und Regler bedient, hatte den grundsätzlichen Nachteil der elektronischen Musik, dass man das Gesehene kaum mit dem akustisch Wahrnehmbaren in Verbindung bringen kann. Es fehlt die Unmittelbarkeit, vor allem auch die Emotionalität der Ausführenden. Sobald Masotto zum Instrument griff, ergab sich eine andersgeartete Verbindung zum Publikum – sofern man zum Träumen nicht die Augen geschlossen hatte. Live an einem Instrument gespielte Musik vermittelt auf alle Fälle eine ansprechendere Intensität.
Auch ohne Elektronik ist an der Violine eine Vielzahl an Klangvarianten möglich, je nachdem, an welcher Stelle und wie die Saiten gestrichen und gegriffen werden. Gezupft ergibt sich nochmal eine andere Tonqualität. Vor allem in der zeitgenössischen ernsten Musik spielen diese Möglichkeiten der Tonerzeugung eine wichtige Rolle. Werden die so entstehenden Klänge und Geräusche aber per Tonabnehmer verstärkt und dann eventuell auch noch elektronisch verfremdet, sind dem Hörkino kaum Grenzen gesetzt, zumal die Obertonreihen deutlich hörbarer in Erscheinung treten und für ein reiches Kolorit sorgen.
Für ihr neues Album ließ sie sich von einer Reise durch Guatemala inspirieren
Laura Masotto hat für ihre Stücke allerdings ein klares Schema entwickelt, das etwas gleichförmig daherkommt. Grob gefasst, geht es um Soundscapes, also Klanglandschaften, mit violinistischen Melodien und Improvisationen darüber. Letzteres eine Möglichkeit, auf die im Saal spürbare Atmosphäre spontan zu reagieren und auch den eigenen, aus dem Moment heraus entstehenden Emotionen nachzugehen. Ein Element, das den Liveauftritten mehr Ausdruckskraft und den musikalischen Aussagen Tiefe verleiht. Meist schwelgte Masotto in weitschweifenden elegischen Moll-Melodien, die endlos mäandernd in der Dichte und im Volumen auch für die Entwicklung einer Dramaturgie sorgten. Vom Charakter her erinnerten sie an keltische Folklore in der Pop-Variante, wie sie etwa der im spanischen Asturien beheimatete José Ángel Hevia Velasco mit seiner Formation „Hevia“ auf dem Dudelsack spielt.
Die Soundscapes waren nur teilweise vorgefertigt programmiert, sozusagen als Basisfärbung, auf die Masotto mithilfe des Loopers live auf ihrem Instrument weitere Stimmen nacheinander aufschichtete. Meist kamen als erstes Arpeggien mit einer akzentuierten Oberstimme als harmonisches Gerüst gefolgt von einer Schicht klangexperimenteller Motive, die für Spannung sorgten. Dann noch eine zweite Melodiestimme, über die schließlich Masotto komponierte Melodien oder auch Improvisationen schweben ließ. Die elektronischen Helfer konnten später im Höhepunkt zum Anschwellen des Volumens passende Harmonien hinzufügen, oder noch den einen oder anderen Effekt, aber damit waren die Möglichkeiten ausgeschöpft.
Auch wenn Masotto sich für ihr hier mit vorgestelltes neues Album „The Spirit of Things“ von einer Reise durch Guatemala auf Spuren schamanischer Rituale inspirieren ließ, waren die einzelnen Titel wie „Totem“ oder „Dark Horse“ kaum unterscheidbar. Bis auf „Under The Bombs“, in dem imitierte Kriegsgeräusche beängstigend für ein eindeutiges Szenario sorgten. Einen gewissen rituellen Charakter erreichte Masotto bisweilen mit elektronisch getrommelten Rhythmen, die man sich durchaus öfter gewünscht hätte, um nicht gar so sehr ins Esoterische abzudriften.