Nico Hülkenberg hatte sich fein gemacht. Schicke Schuhe, weiße Hose, dunkles Sakko, Gel in den Haaren und eine Sonnenbrille auf der Nase. Aber das half nicht, der Formel-1-Pilot kam aus dem Fahrerlager nicht durch die Sicherheitsschleuse, dabei wollte er zum Feierabend nur noch mal kurz auf die Strecke von Monte-Carlo. Eigentlich müssten sie den 37-Jährigen auch ohne um den Hals baumelnde Akkreditierung gut genug kennen, elfmal ist er beim Großen Preis von Monaco gestartet und überhaupt: Seit im Kalender die Einträge Hockenheim und Nürburgring fehlen, ist das hier sein Heimrennen. 2015 ist er ins Fürstentum gezogen, wie fast die Hälfte der Piloten. Ein Merkmal aber hat Hülkenberg exklusiv: Er ist der einzige Deutsche in der Formel 1.
Das hilft aber nicht dabei, Erfolge zu sammeln. Und so durchlebt Hülkenberg in seiner 15. Saison wieder eine Phase, in der Geduld, Beharrlichkeit und seine Erfahrung gefordert sind. Unter den 20 Fahrern wird er nach sieben Rennen auf Platz 15 gelistet, mit sechs Punkten vom Auftakt in Australien, der einzigen Ausbeute seines Teams in diesem Jahr. Kick Sauber ist Letzter. Und hofft nun in Monte-Carlo auf eine Besonderheit.

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Bei dem Klassiker, der schon 1950 im ersten Formel-1-Jahr dabei war, sind am Sonntag erstmals (und zunächst auch einmalig) zwei Boxenstopps für alle verpflichtend. Vielleicht geht dann auch für die Hinterbänkler was. Die Regel bringt mehr taktische Möglichkeiten und, hofft der Motorsport-Weltverband Fia, auch mehr Spannung. Weil das Überholen hier auf den engen Gassen so schwer ist, gleicht das Rennen oft einer Prozession. Die Boxenstopp-Pflicht „bringt auf jeden Fall eine weitere Variable ins Spiel“, sagt Hülkenberg. „Das kann für dich laufen oder total gegen dich.“
Aufwind kann Kick Sauber jedenfalls gebrauchen. Besonders auch mit Blick auf die Zukunft. Die antizipiert der Rennstall aus der Schweiz nicht allein wegen der ab 2026 geltenden Regeländerungen, die alle betreffen. Sondern, weil aus Kick Sauber dann unübersehbar Audi wird. Im August 2022 hatte der deutsche Autokonzern verkündet, als fünfter Motorenlieferant in die Formel 1 einzusteigen. Im März 2024 folgte die Bekanntgabe der kompletten Übernahme von Sauber, und nun geht es darum, sich bestmöglich aufzustellen in diesem milliardenschweren Projekt. Daran hat auch der Staatsfonds von Katar Interesse, mit dem Audi eine strategische Partnerschaft eingegangen ist.
„Ich bin vorsichtig mit großen Prophezeiungen, da haben sich schon viele verbrannt“, sagt Nico Hülkenberg
Das alles führt zu hohen Erwartungen an den Formel-1-Einstieg, die angesichts der schwierigen Lage des Unternehmens inklusive Stellenabbau nicht zuletzt intern erfüllt werden müssen. Dafür sind in einem Team viele verantwortlich. Aber am Ende steht auf der Strecke der Fahrer im Fokus.
„Ich spüre dadurch keinen zusätzlichen Druck“, sagt Nico Hülkenberg und lehnt sich zurück. Eine Woche vor Monaco hat er in Imola Zeit für ein Interview im Motorhome, zwei Tische weiter sitzt Peter Sauber, Gründer und bis 2016 Inhaber des Teams, das bereits 600 Rennen hinter sich hat. „Ich nehme schon wahr, dass da etwas Großes kommt, dass ich eine globale Marke vertrete und so ein Projekt mit aufbaue“, sagt Hülkenberg. „Mit Renault war das ähnlich. Aber mit Audi – und auch, weil die Formel 1 gewachsen ist – wird das Ganze wahrscheinlich noch mal eine Nummer größer werden.“
Mit Hülkenberg als deutschem Fahrer bei einem deutschen Werksteam ist auch die Hoffnung verbunden, dass die selbst ernannte Autonation in der Königsklasse wieder eine größere Rolle spielt. Global wächst die Formel 1. Aber in Deutschland ist die einst von Michael Schumacher ausgelöste Euphorie, die sich in den Erfolgen von Sebastian Vettel (vier WM-Titel) und Nico Rosberg (1) fortsetzte, abgeklungen. Die Zahl aufstrebender Talente ist überschaubar, Mick Schumacher verlor 2022 sein Cockpit und startet seither in der Langstrecken-WM. „Es wäre schon eine coole Story, wenn in Deutschland der Funke wieder überspringt“, sagt Hülkenberg. „Aber es ist ja auch so: Audi kommt, Mercedes ist schon lange da, und trotzdem tut sich die Formel 1 in Deutschland schwer. Einen Aufschwung kann man nicht nur an Audi festmachen.“

Für Hülkenberg persönlich spielt es letztlich keine große Rolle, ob er wie 2010 einer von sieben deutschen Fahrern oder „der letzte Hinterbliebene“ ist, wie er sagt. Er hat genug mit seinen Aufgaben zu tun. 2019 schien seine Karriere beendet zu sein, er war nur noch als Reserve dabei. 2023 dann die Rückkehr aus der Teilzeit-Rente ins Stammcockpit bei Haas, schließlich der Wechsel zu Kick Sauber, für das er 2013 schon mal fuhr. Nun zählt er mit den Weltmeistern Lewis Hamilton, 40, und Fernando Alonso, 43, zu den Routiniers. Dass dies sein siebtes Team ist, hilft nur bedingt. Hülkenberg vergleicht Wechsel mit einem Umzug in ein neues Land: Andere Leute, andere Kultur, Monate könne es dauern, sich anzupassen. Zudem unterscheiden sich die Autos.
Hinzu kommen in diesem Fall personelle Veränderungen auch auf höchster Ebene. Erst leitete der frühere McLaren-Teamchef Andreas Seidl das Projekt, im August 2023 übernahm Ex-Ferrari-Teamboss Mattia Binotto. In Person von Jonathan Wheatley, prägend bei Red Bull, hat Audi für den Posten als Chef der Equipe ein weiteres Schwergewicht überzeugt. Eine solche Personalie hilft, weitere Spezialisten und Mitarbeiter anzuwerben. Wobei ein Werksteam ohnehin mit mehr Kraft, Ressourcen und Möglichkeiten aufwarten kann. „Wir wachsen sehr schnell“, beschreibt Hülkenberg den Prozess. „Aber die Zahnräder müssen natürlich gut funktionieren und miteinander harmonieren – auf allen Ebenen. Daran müssen wir noch arbeiten.“ Parallel soll ein Kulturwandel gelingen. Sprich: Diejenigen, die Enttäuschungen gewohnt sind, müssen an Erfolge glauben.
Ganz wie Hülkenberg selbst. Noch hält er ja den unrühmlichen Rekord, der Pilot mit den meisten Rennen ohne Podiumsplatz in der Formel 1 zu sein. Was seinem guten Ruf übrigens nicht schadet. Aber diesen einen Makel würde er natürlich trotzdem gerne loswerden. Womöglich hilft ihm dabei der Neustart: „Konkrete Erwartungen zu definieren, ist schwierig“, sagt Hülkenberg. Das neue technische Reglement „bietet die Chance, schneller zu den Topteams aufzuschließen oder die Rangordnung zu verändern. Aber ich bin vorsichtig mit großen Prophezeiungen, da haben sich schon viele verbrannt“. Ihn reizt die Aussicht auf all die Veränderungen. Wenn es nach Nico Hülkenberg geht, wird der Formel 1 zumindest ein Deutscher noch eine Weile erhalten bleiben.