Der Wendepunkt, sagt Leonardo Costa, sei die Deutsche Schachmeisterschaft 2022 in Magdeburg gewesen. Damals war er, 14 Jahre alt, als klarer Außenseiter in das Turnier gegangen – und gewann es völlig überraschend. „Ich habe sogar eine Auftaktniederlage hinnehmen müssen“, erinnert er sich im Gespräch. „Dieser Sieg war daher umso mehr ein Schock für mich, ein sehr positiver Schock natürlich. Danach dachte ich: Okay, ich kann es schaffen.“
Knapp drei Jahre später kann konstatiert werden: Er hat es tatsächlich geschafft. Heute ist der gebürtige Münchener Leonardo Costa, 17, der stärkste deutsche Teenager und gehört zu den weltweit 30 besten Junioren am Brett. In einer Rangliste wohlgemerkt, die der aktuelle Weltmeister, Gukesh Dommaraju, 18, anführt. Im Schach ist Junior, wer maximal 20 Jahre alt ist.
Für Costa läuft es in diesen Wochen hervorragend. Zuletzt erreichte er innerhalb kürzester Zeit zwei sogenannte Großmeister-Normen, wodurch die Verleihung des Großmeister-Titels durch den Weltverband nur noch Formsache ist. Und bei der gerade zu Ende gegangenen deutschen Meisterschaft, die an den vergangenen neun Tagen in München stattfand, bestätigte er seinen Status als Deutschlands größtes Talent.
Einzig gegen den späteren Sieger Vincent Keymer, seinen Vorgänger als Supertalent und inzwischen die klare Nummer eins des Landes, verlor er. Ansonsten blieb Costa gegen die versammelte nationale Schachelite ungeschlagen und wurde als jüngster Teilnehmer im Feld guter Siebter. Diese Platzierung ist noch deutlich höher einzuschätzen als sein Sieg vor drei Jahren, weil der Modus der nationalen Titelkämpfe kürzlich so verändert wurde, dass heute tatsächlich die besten Spieler des Landes dort antreten. Das war 2022 noch anders.
„Ich bin sehr glücklich, wie es gerade läuft“, sagt Leonardo Costa am Mittwochabend in München. Gerade hat er gegen Nationalspieler Alexander Donchenko ein Remis erkämpft, doch von Müdigkeit ist nach vier Stunden am Brett nichts zu spüren. Costa sitzt aufrecht auf einem dunkelgrünen Sessel in der Eventlocation Fat Cat am Rosenheimer Platz und lächelt viel, während er spricht, wodurch seine silberfarbene Zahnspange zum Vorschein kommt.
„Am Anfang war es vielleicht ein wenig zu leicht für ihn“, sagt der Nachwuchsbundestrainer
Als Costa fünf Jahre alt ist, erklärt ihm sein Vater erstmals die Regeln des Denksports. Gleich zu Beginn, sagt Costa, habe er großen Spaß gehabt, Schach „zu erkunden“: „Mich hat die Komplexität des Spiels mit seinen vielen Stellungen und Konzepten sehr fasziniert.“ Bereits im Grundschulalter gewinnt Costa regelmäßig hochklassige Turniere, nimmt an Europa- und Weltmeisterschaften teil und wird mehrmals deutscher Meister seiner Altersklasse. Der Vater hat schon gegen den neunjährigen Leonardo keine Chance mehr.
„Am Anfang war es vielleicht ein wenig zu leicht für ihn“, sagt Bernd Vökler, der Nachwuchsbundestrainer des Deutschen Schachbundes (DSB), am Telefon. Der 61-Jährige kennt Costa seit 2016 und sagt: „Das harte Training musste er erst lernen.“ Inzwischen jedoch sei er auch in dieser Hinsicht „sehr seriös“. Seit etwa einem Jahr wird Costa von dem ukrainischen Großmeister Pawel Eljanow trainiert. Die ehemalige Nummer sechs der Weltrangliste lebt aktuell in München und beschreibt seinen Schüler im Gespräch mit der SZ als „talentiert und sehr diszipliniert“.

:„Ich habe viele Freunde, die an der Front kämpfen“
Seit zwei Jahren lebt Großmeister Pawel Eljanow in München. Am Rande der Deutschen Schachmeisterschaft erzählt der Ukrainer vom Training mit dem größten deutschen Nachwuchstalent, von im Krieg gefallenen Spielern und warum er sich schuldig fühlt.
Costa erzählt, er trainiere momentan 16 Stunden pro Woche. Und natürlich geht er, anders als etwa seine indischen Konkurrenten im gleichen Alter, auch noch ganz normal zur Schule. Das sei „manchmal stressig“, sagt er. „Aber ich bekomme die Balance ganz gut hin.“ Für Events wie die deutsche Meisterschaft ist er von der Schule befreit.
Möchte Leonardo Costa überhaupt Schachprofi werden?
Auch auf der internationalen Schachbühne überzeugt Costa inzwischen regelmäßig. Er erreichte etwa den vierten Platz beim Budapester Schachfestival und verpasste bei der U20-Weltmeisterschaft in Montenegro nur knapp eine Medaille. Sein nächstes Ziel, sagt Costa, sei eine Elo-Zahl von 2600. Dazu fehlen ihm bei dieser Einheit, die die Stärke von Schachspielern misst, noch rund 70 Punkte. Weltweit gibt es nur 14 Junioren mit mehr als 2600 Punkten.
Dass Costa das Potenzial für die Weltspitze hat, daran zweifelt kaum jemand in der Szene. Der Vergleich mit Vincent Keymer liegt nahe und fällt oft. Die Frage ist bloß: Will der 17-Jährige das überhaupt, Schachprofi werden?
„Ich habe mich noch nicht entschieden“, antwortet Costa auf genau diese Frage. „Aber ich glaube nicht, dass ich diesen Weg gehen werde.“ In zwei Jahren möchte Costa sein Abitur in der Tasche haben und danach, Stand jetzt, lieber „etwas in die Richtung Elektronik“ studieren, sagt er. Natürlich werde er weiterhin Schach spielen. Jedoch: „Wenn ich mit Schach mein Geld verdienen muss, geht der Sinn verloren. Es würde mir weniger Spaß machen und vielleicht spiele ich dann auch schlechter.“
Nach dieser durchaus überraschenden Aussage verabschiedet sich Leonardo Costa und wendet sich seinem Vater zu, der gerade an den Tisch gekommen ist. Gemeinsam wollen sie jetzt noch das Remis gegen den Nationalspieler, Großmeister und Profi Alexander Donchenko besprechen. „Lief gut“, sagt Leonardo Costa. Und lächelt dabei.