In einer Chatgruppe von angehenden Abiturienten der Gießener Liebigschule sind zwei Vorschläge im NS-Jargon für das Abi-Motto 2026 aufgetaucht – deshalb ermittelt die Polizei nun von Amts wegen. Sie sieht den Verdacht einer Straftat als gegeben an, wie ein Sprecher sagte. Die Polizei wird demnach selbst in Absprache mit der Staatsanwaltschaft Strafanzeige stellen. Der Sachverhalt ist auch dem hessischen Verfassungsschutz bekannt, wie ein Sprecher bestätigte.
Einer der an der kurz „Lio“ genannten Schule verbreiteten Vorschläge lautete „NSDABI – Verbrennt den Duden“, ein zweiter „Abi macht frei“, angelehnt an den Spruch „Arbeit macht frei“ an den Toren der NS-Vernichtungslager wie etwa Auschwitz. Zudem hatte jemand die islamfeindliche Zeile „Abi Akbar – Explosiv durchs Abi“ in die Chatgruppe gestellt, in der Vorschläge für das Abi-Motto gesucht wurden.
Die Leitung des Gymnasiums nimmt den Vorgang nach Angaben ihres Leiters Dirk Hölscher „sehr ernst“. Das sagte er der „Gießener Allgemeinen“, die den Fall öffentlich machte. Auf Anfrage der F.A.Z. teilte Hölscher mit: „Wir haben das gleich aufgegriffen, mit verschiedenen Stellen und natürlich dem Jahrgang gesprochen.“ Nach seinen Worten haben Schülerinnen und Schüler des Abi-Jahrgangs der Schulleitung die drei in Rede stehenden Sprüche zukommen lassen, die sie „sehr geschmacklos und daneben“ fanden, wie Hölscher erläuterte. Zuvor sei einer der drei genannten Vorschläge auffallend oft geliked worden.
Landesportal Hessen gegen Hetze eingeschaltet
Die Schulleitung rief anschließend am Freitag alle Jugendlichen des neuen Abitur-Jahrgangs zusammen, wandte sich an das Landesportal Hessen gegen Hetze und schaltete die Fachstelle für Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusforschung ein. Hölscher teilte weiter mit, die für die Vorschläge verantwortlichen Schüler würden von der Polizei vernommen. Unabhängig davon werde die Schule auf die Schüler einwirken und sich Schritte überlegen. Wann es aber zu Vernehmungen kommt, steht noch dahin. „Bisher gibt es keinen Beschuldigten“, sagte der Polizeisprecher. Über die Chatgruppe müssten die Urheber jedoch zu ermitteln sein.
Der Schulleiter gab zu bedenken, dass nicht gleich der gesamte Jahrgang oder die Schule für den Vorfall verantwortlich gemacht werden dürften. Urheber seien wenige Jugendliche. Dazu passt eine Reaktion des Abi-Jahrgangs 2025. Er distanzierte sich mit einem Post auf Instagram von den drei genannten Vorschlägen. „Solche relativierenden, diskriminierenden und menschenverachtenden Inhalte haben absolut keinen Platz – weder an unserer Schule noch in unserer Gesellschaft“, heißt es darin. Und: „Das hat nichts mit jugendlichem Humor zu tun, das ist brandgefährlich.“ Gerade in Zeiten, in denen „rechtsextreme Einstellungen immer salonfähiger zu werden scheinen, sehen wir es als unsere Pflicht, klar Haltung zu zeigen“.
RIAS fordert mehr Fortbildung an Schulen
Das in der Stadt umlaufende Gerücht, der Verfassungsschutz beobachte wegen des Vorfalls die „Lio“, wies Hölscher als falsch zurück. Der Sprecher der Behörde bestätigte das. Der Verfassungsschutz beobachte extremistische Bestrebungen, aber keine Schulen. Unabhängig davon verfügt der Verfassungsschutz über eine Abteilung, die sich mit der Vorbeugung extremistischer Umtriebe beschäftigt und auch Kontakte zu Schulen aufnimmt.
In der vergangenen Woche beklagte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, zu viele Schulen verschleierten solche Vorfälle. Zudem seien viele Lehrkräfte damit überfordert. Deshalb sei mehr Fortbildung nötig.