Was haben Pippi Langstrumpf, der Pumuckl und das Sams gemeinsam? Allesamt sind frech, schlau und rebellisch – und teilen außerdem dieselbe Haarfarbe. Und das hat meist einen tieferen Grund: In der neuen Ausstellung „Was ist da los auf dem Kopf?“ zeigt die Internationale Jugendbibliothek, dass Haare und Charaktereigenschaften in Kinderbüchern häufig miteinander verflochten sind.
An den Struwwelpeter erinnern sich die meisten sicherlich mit einem Schaudern. Seit 1845 wird das Buch genutzt, um Kinder zu gutem Benehmen und einem ordentlichen Aussehen zu erziehen. Die Titelfigur ist eine Warnung: Wer sich nicht die Fingernägel schneidet und die Haare kämmt, endet als Außenseiter. Heute haben sich die Erziehungsmethoden gewandelt, und auch moderne Kinderbücher sehen anders aus. Wilde Haare repräsentieren inzwischen eher Temperament und Freiheitsliebe, als dass sie Aussätzige markieren. Trotzdem ist der alte Struwwelpeter in der neuen Ausstellung zu sehen. „Das Buch soll den Besuchern genau diesen historischen Wandel vor Augen führen“, sagt Kuratorin Ines Galling. „Früher galt ein ungekämmter Charakter automatisch als niederträchtig. Heutzutage ist man nicht mehr so streng.“
Allerdings gibt es auch Kontinuitäten. „Autoren bedienen sich nach wie vor gerne stereotyper Zuschreibungen, was Haare angeht“, sagt Galling. „Haarfarben und Frisuren eignen sich einfach sehr gut, um die Charaktereigenschaften einer Figur sichtbar zu machen“. Die Kuratorin hat etwa 500 Kinderbücher durchkämmt und dabei wiederkehrende Muster entdeckt: „Die Farbe Rot wird noch immer mit Hexen und dem Teufel verbunden“, erzählt sie. „Rote Haare sind daher der Standard für widerspenstige Charaktere, die gerne die Regeln brechen.“ Lange goldene Haare hingegen repräsentieren außergewöhnliche Schönheit, und grüne Schöpfe stehen für Naturverbundenheit. „Außerdem lassen sich auch Gefühle wie Angst oder Wut ausdrücken“, sagt Galling. „Etwa wenn jemandem die Haare zu Berge stehen.“
Neben der Charakterisierung von Figuren nutzen Autoren Haare außerdem, um ihre Geschichten auf visuelle Weise zu erzählen. Eindrücklich zeigt sich dies etwa im Buch „Der Katze ist das ganz egal“ von Franz Orghandl. Es erzählt die Geschichte vom kleinen Leo, der eigentlich ein Mädchen ist und Jennifer heißen möchte. Lange Haare sind ein traditionelles Sinnbild für Weiblichkeit und helfen Jennifer dabei, äußerlich zu zeigen, wer sie wirklich ist. Laut Galling sind Kinderbücher grundsätzlich politisch. „Sie sind immer Teil einer Gesellschaft und diskutieren Themen, die in der Gesellschaft verhandelt werden.“

Die Ausstellung zeigt Auszüge aus alten und neuen Büchern und beleuchtet allseits beliebte Märchen genauso wie unbekanntere Geschichten. Auch Sachbücher für Kinder rund um das Thema Haare dürfen nicht fehlen. Zum Schmökern können Besucher es sich in altmodischen Friseursesseln bequem machen.
Zwar ist die Ausstellung in der Blutenburg sehr klein, aber sie stößt dennoch Denkprozesse an. Unweigerlich stellt sich die Frage, welche Botschaft die eigene Frisur vermittelt. Durch Haarfarbe und -schnitt kann immerhin jeder beeinflussen, wie seine Mitmenschen ihn wahrnehmen. Eine schwarze Gothic-Frisur bezeugt die Mitgliedschaft in einer Subkultur. Das stolze Tragen eines Afros lässt sich politisch deuten. Und auch wenn nichts davon zutrifft – die Ausstellung inspiriert dazu, alte Lieblingsbücher herauszukramen. Womöglich kommunizieren ja die Haare der eigenen Kindheitshelden versteckte Botschaften.
„Was ist da los auf dem Kopf? Haariges aus Kinderbüchern“, bis 3. Februar, Montag bis Freitag 10 bis 16 Uhr, Samstag und Sonntag 14 bis 17 Uhr, Internationale Jugendbibliothek in Schloss Blutenburg, Seldweg 15, www.ijb.de