Die neue Bundesregierung zieht die verschärften Grenzkontrollen durch: Asylsuchende werden an der Grenze von Polizisten abgewiesen. Das hält Geflüchtete aber nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen, wie ein Besuch in einem Flüchtlingslager in Griechenland zeigt.
Eine Stunde nördlich von Athen sieht Europa für zwei junge somalische Geflüchtete armselig aus. Im Flüchtlingslager Ritsona endet für den 18-jährigen Hussein und den 19-jährigen Osman der Traum von einem guten Leben in Europa vorerst hinter Mauern und mit unklarer Perspektive.
Die Zustände im Lager sind alarmierend: schwarzer Schimmel in den Unterkünften, defekte Sanitäranlagen, aus der Dusche kommt kaum mehr als ein Rinnsal. Die tägliche Essensration besteht aus zwei Flaschen Wasser, einem Päckchen Saft, etwas Brot und abgepacktem Gemüse. Zum Kochen muss im Zweifel eine Herdplatte reichen, die anderen sind seit Monaten kaputt – repariert oder ersetzt werden sie genauso wenig wie defekte Waschmaschinen.

Osman (l.) und Hussein (r.) stehen mit dem Rücken zur Kamera, wollen ihre Gesichter nicht zeigen, weil sie Angst vor den Behörden haben.
(Foto: RTL/ntv)
Seit sieben Monaten sitzen Osman und Hussein hier fest. Ihr Ziel: es bis nach Deutschland zu schaffen. Doch das ist seit der Regierungsübernahme von Bundeskanzler Friedrich Merz in weite Ferne gerückt. Die Grenzkontrollen haben sich nach dessen Amtsantritt verschärft. Darüber rede man auch im Camp. „Sie haben mir gesagt, dass alles jetzt schwerer sein werde, dass es neue Regeln in Deutschland gebe“, sagt Hussein.
„Das ist kein gutes Leben“
Wenn in Berlin sinkende Flüchtlingszahlen, Grenzkontrollen und Zurückweisungen verkündet werden, kommt nicht nur bei Hussein und Osman die Frage auf: Kommen wir jemals nach Deutschland? „Ja, ich habe Angst“, gibt Osman zu. „Aber Deutschland ist mein Traum. Ich will nach Dortmund oder Frankfurt gehen.“
„Wir sind hierhergekommen, um ein besseres Leben zu haben“, sagt auch Hussein. „Aber das haben wir nicht bekommen. Hier machen wir nichts und schlafen. Das ist kein gutes Leben. Wir wollen zur Schule und Universität gehen.“ Das könnten sie in Griechenland aber nicht. Deswegen wolle er die Einreise nach Deutschland auf jeden Fall versuchen und trotz verschärfter Grenzkontrollen nicht aufgeben. „Ich will ein gutes Leben. Ich will hart arbeiten und meinen Freunden und meiner Familie helfen.“

Schimmel an den Wänden und kaputte Waschmaschinen: die Zustände in Ritsona sind miserabel.
(Foto: RTL/ntv)
2200 Geflüchtete warten derzeit in Ritsona auf eine Entscheidung ihres Asylantrags, nachdem sie von den zahlreichen griechischen Inseln hierher aufs Festland gebracht wurden. Manche sind seit mehr als einem Jahr im Lager – sehr viele von ihnen minderjährig oder junge Erwachsene ohne Begleitung.
Deutschland ist das Zielland par excellence
Einer von ihnen ist Abdullah. Sein Asylantrag in Griechenland wurde abgelehnt. „Das Leben im Camp ist sehr, sehr hart. Ich habe keine Arbeit, keine Dokumente und das Essen ist nicht gut. Meine Familie in Somalia ruft mich an und sagt, Abdullah, du bist jetzt in Europa, schick uns Geld und arbeite hart. Aber ich habe keine Arbeit hier.“
Auch er will nach Deutschland. Von den neuen Einreiseregeln der neuen Regierung hat er gehört. Aber zum Arbeiten sei Deutschland besser als Griechenland. „Ich habe Freunde, die in Deutschland leben und ursprünglich aus Somalia kommen. Manche von ihnen haben einen Pass bekommen, das ist sehr gut für uns.“ Das macht Abdullah Hoffnung.
Dass die Geflüchteten im Camp die Nachrichtenlage verfolgen, weiß auch Lefteris Papagiannakis, Präsident des Griechischen Rats für Flüchtlinge. „Als die Grenzkontrollen in Deutschland eingeführt wurden, wussten das die Geflüchteten hier“, sagt er. „Und das ist nicht mal ein großes Problem für sie, das besorgt sie nicht, weil sie eh weiterziehen müssen.“
Die neuen Regelungen in Deutschland würden daran nichts ändern. „Wenn jemand glaubt, dass Menschen aufhören, sich zu bewegen, nur weil jemand Mauern, Zäune, Gräben, Soldaten, Drohnen und Kameras aufstellt: Damit machen wir den Geflüchteten das Leben schwer, aber sie werden nicht aufhören, zu kommen.“
Nach Angaben der Merz-Regierung gingen die Zahlen bereits nach einer Woche runter. Das ändere aber nichts daran, dass Griechenland in Sachen Geflüchteter ein Empfänger- und Transit-Land sei, Deutschland das Zielland par excellence. „Es ist nicht das erste Mal, dass Deutschland seine Flüchtlings- und Asylpolitik verändert, wir kennen das schon. Das löst in der griechischen Regierung Unruhe und Aufregung aus, da Deutschland den Ton für die ganze europäische Flüchtlingspolitik angibt“, so Papagiannakis.
„Diese Art der Politik wird nicht gut ausgehen“
An Merz‘ neuem Kurs äußert er Kritik: „Die Frage, mit der wir uns beschäftigen sollten, ist nicht die, wie wir sie stoppen. Wir müssten eine ganz andere Diskussion führen“, fordert Papagiannakis. „Ich sage nicht, dass es kein Problem mit der Migration gibt. Aber so wie wir sie managen, sorgt es dafür, dass die Probleme, die wir haben, erst entstehen. Diese Art der Politik wird nicht gut ausgehen.“
Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist der Ansicht, dass die neuen Grenzkontrollen nicht lange durchzuhalten seien. „Das schaffen wir nur, weil Dienstpläne umgestellt wurden, die Fortbildungen der Einheiten aktuell auf Eis liegen und derzeit der Abbau von Überstunden gestoppt ist“, sagte der Vorsitzende der Bundespolizei in der GdP, Andreas Roßkopf, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Klar ist: Die intensiven Kontrollen kann die Polizei nur noch einige Wochen aufrechterhalten.“
Zuvor kam bereits Kritik aus Polen und der Schweiz: „Deutschland wird in sein Gebiet lassen, wen es will. Polen wird nur in sein Gebiet lassen, wen es akzeptiert“, sagte Polens Regierungschef Donald Tusk.
Sollte Abdullahs Asylantrag in Griechenland genehmigt werden, will er zu Fuß nach Deutschland gehen. Manche hätten ihn davor gewarnt. „Es ist weit und gefährlich, aber eine andere Idee habe ich nicht.“