Berlin debattiert über muslimische Straßendekoration und einen gemobbten schwulen Lehrer. Es ist eine prima Gelegenheit, der Identitätspolitik heimzuleuchten – und zwar am linken wie am rechten Rand.
Man hat es ja nicht leicht, als Kulturkampfverweigerer in einem Ozean identitätspolitischen Wahnsinns. Diese Woche war einmal mehr eine Herausforderung und das lag an zwei zunächst unverbunden wirkenden Ereignissen.
Ereignis eins: Die Grünen wünschen sich in ganz Berlin festliche Beleuchtung an Ramadan, dem Fastenmonat der Muslime. Ab Februar 2026 sollen dann also Straßen an prominenten Orten wie dem Ku’damm glitzern wie an Weihnachten, aber eben mit „Ramadan Kareem“-Schriftzug („Froher Ramadan“) und mutmaßlich ohne in Grünkohl verkochte Schweinebacke.
Ereignis zwei: In der „Süddeutschen“ berichtet der Lehrer Oziel Inácio-Stech von seinem Coming-Out als Homosexueller. Das ist in Berlin eigentlich spätestens seit Juni 2001 „auch gut so“, allerdings unterrichtet Inácio-Stech in Berlin-Moabit an der Carl-Bolle-Schule – und fand sich sofort in einem Alptraum wieder: Muslimische Kinder hätten ihn als „Familienschande“ bezeichnet, als „ekelhaft“ und „unrein“, sie verbreiteten Gerüchte über ihn, einer habe gesagt: „Du Schwuler, geh weg von hier. Der Islam ist hier der Chef.“
Hochschalten in den Gaga-Gang
Die deutsche Öffentlichkeit ging mit diesen Ereignissen nun absolut besonnen um: Man einigte sich nach einigem Hin- und Her auf eine durch Sponsoring finanzierte Ramadan-Beleuchtung und begann zugleich eine empathische, engagierte Debatte, was gegen Homophobie in manchen muslimischen Familien zu tun ist und wie man homosexuelle Lehrer in Stadtteilen wie Moabit besser schützt.
Haha, kleiner Scherz, das ist natürlich nicht passiert. Die Aufklärung haben wir schließlich lange hinter uns gelassen: Beide Pole der Identitätspolitik, also die „woke“ Linke und die Knallrechte, schalteten stattdessen direkt hoch in den Gaga-Gang und traten das Gaspedal bis auf den Asphalt durch.
„Naivität im Lichterglanz: Die Grünen im Islam-Modus“, titelte der Cicero zu den Beleuchtungsplänen. Mit dem Ramadan-Glitzer folge nämlich der „Einfluss islamistischer Staaten“. Das vertiefe „das Entfremdungsgefühl vieler Bürger“, hieß es bei der „Welt“. Und bei X? Fürchtete man, mit dem Licht komme auch gleich die Scharia.
Sag noch einmal „Narrative“
Und der schwule Lehrer Inácio-Stech? Der leide wiederum gar nicht an Homophobie mulimischer Schüler, belehrte Lamya Kaddor ihren Parteifreund Volker Beck. In einem länglichen Zwischenruf auf X gab sie praktisch allem anderen die Schuld: Die Schule sei „ein komplexer Raum“, die Identitäten der Kinder seien „nicht so ausgereift“. Von dort ging es schnell zu Schulleitung, Elternschaft, „aber auch wir als Gesamtgesellschaft“.
Was Kaddor wie auch andere Vertreter der identitätspolitischen Linken hier aufführen, ist eine Variante von „es ist nicht wie es aussieht!“. Man kennt das von in fremden Betten ertappten Ehepartnern, aber auch von migrationsbedingter Kriminalität oder als Propalästina-Protest getarnter Antisemitismus: Verantwortung bitte nur in der Gesellschaft, in der Struktur, nicht bei den Verursachern.
Jedes Ding der Welt hat zwei Seiten, bis auf die Migration: Sie ist ausschließlich gut, jedenfalls im Blick mancher Grüner: „Queerfeindlichkeit“ sei, sagt Kaddor, kein „importierter Kulturkonflikt“, sondern sei tief verwurzelt in der Mehrheitsgesellschaft, an Schulen und, welche Rolle auch immer das hier spielt, in „Redaktionsstuben“. Zum Finale spielt Kaddor den bekannten Schlussakkord, den stärksten Ideologie-Joker der Linken: Sie warnt vor „rassistischen Narrativen“.
Plötzliche Kapitulation
Als Beck darauf hinweist, dass von muslimischen Verbänden beklagenswert wenig zu Homophobie in den eigenen Reihen zu hören sei, erklärt Kaddor etwas unvermittelt die Kapitulation: Diese könnten doch eh nichts mehr ausrichten. Hm. Das mag ja sein – und deshalb müssen jetzt „die Redaktionsstuben“ ran?
Das Zwischenergebnis dieser, nun, „Debatte“, lautet also: Ramadan-Lampen führen die Scharia ein und Schwulsein ist nicht mehr gut so. Unter die Räder gekommen: Ein Berlin, das einmal weltoffen sein wollte. Die Identitätspolitik hat keine Antworten für ein Einwanderungsland, das Deutschland ist und sein muss.
Dass migrantische Jugendliche bisweilen ein archaisches Weltbild, eine toxische Weltsicht und eine Menge Überlegenheitsgestus an Lehrern und Mitschülern auslassen, ist nichts, wofür man noch eine Forschungsarbeit benötigte. Ebenso offensichtlich: Die erhitzten Debatten um Messerangriffe, importierten Antisemitismus und eine restriktive Migrationspolitik haben erhebliches Ausgrenzungspotential gegenüber Muslimen, sowohl den deutschen wie den ausländischen.
„Reaktionäre Muster aus Herkunftskulturen“
Verständlich, dass die furchtlosen Stimmen rar sind. Der kurzzeitige Ampel-Bildungsminister Cem Özdemir (Grüne) etwa sagte, der Vorfall an der Carl-Bolle-Schule sei „inakzaptabel“, es müsse „empfindliche Konsequenzen“ geben, sonst lasse man „reaktionären Mustern aus Herkunftskulturen Raum“.
Müsste es im Geist der Aufklärung nicht möglich sein, dass wir ein sichtbares Ramadan auf Berliner Straßen ermöglichen und zugleich ohne Verrenkung über strukturelle Homophobie in manchen Herkunftsländern sprechen?
Würden wir diesen Geist pflegen und einen unverstellten Blick auf Migration und ihre Tücken wagen – dann könnten wir identitätspolitische Linke mit der identitätspolitischen Rechten dorthin schicken, wo sie hingehört: In den Abfluss der Geschichte.