Windows Recall soll das Arbeiten am PC erheblich erleichtern, indem es alle Aktivitäten als Screenshots speichert, deren Inhalt mit KI analysiert und so später schnell wiederfindet.
Die erste Version war ein Datenschutz-Desaster, jetzt startet Microsoft einen neuen Anlauf. Mehr dazu lesen Sie in Recall: Microsoft gibt umstrittene Funktion für Copilot-PCs frei und Windows Recall ist zu riskant für Ihren Copilot+-PC: So schalten Sie es jetzt aus.
Rückblende Mai 2024: „Heute haben wir eine neue Kategorie von Windows-PCs vorgestellt, die für Künstliche Intelligenz (KI) entwickelt wurden: Die Copilot-Plus-PCs“, kündigte Microsoft vor einem Jahr an.
Recall: Microsoft gibt umstrittene Funktion für Copilot-PCs frei
Copilot-Plus-PCs seien die schnellsten und intelligentesten Windows-PCs und böten dank leistungsstarken Prozessoren mit Neural Processing Unit (NPU) und KI-Zugriff völlig neue Funktionen.
Die zentrale Neuerung sollte Recall werden, die Microsoft so beschrieb: „Finden und merken Sie sich mit Recall ganz einfach alles, was Sie auf Ihrem PC je gesehen haben.“
Damit würde eines der häufigsten Probleme im PC-Alltag gelöst, nämlich etwas Bestimmtes wiederzufinden, das man schon einmal geöffnet, angesehen oder bearbeitet habe.

Auf Copilot-Plus-PCs soll künftig neben der Copilot-App (links) auch Windows Recall verfügbar sein. Das neue Icon (Mitte) ist noch mit „Pre“ für die Testversion („Preview“) markiert.
IDG
Mit Recall könne man ganz einfach auf all das zugreifen. Dazu sollte das Betriebssystem ständig und in kurzen Abständen Screenshots erstellen, diese KI-gestützt mit Text- und Bilderkennung analysieren, indizieren und die gesammelten Informationen mit beliebigen Begriffen durchsuchbar machen.
Also eine erweiterte Super-Desktopsuche, die sich nicht wie bisher auf Textinhalte beschränkt, sondern auch Webseiten, Bilder und Dateien aller Art einschließt.
Audioinhalte und Videos sind davon ausgenommen.
Microsoft musste das erste Recall noch vor dem Start zurückziehen
Doch aus den hochtrabenden Plänen und Versprechen wurde erst einmal nichts. Nachdem Microsoft die Funktion in einer Windows-Vorabversion zum Ausprobieren freigegeben hatte, hagelte es Kritik von Datenschützern.
Zum einen lagen die gespeicherten Daten unverschlüsselt auf der Festplatte, sodass Dritte ohne viel Aufwand darauf hätten zugreifen können.
Zum anderen war Recall per default aktiviert, die Nutzer wurden gar nicht erst gefragt (Opt-out).
Drittens hielt Recall wirklich alles fest, was man eingab: also auch Passwörter, andere vertrauliche Daten, einfach alles. Dieser erste Versuch war aus Datenschutzsicht ein Desaster, und man fragte sich, was sich Microsoft dabei gedacht hatte.
Siehe auch: Microsoft will Windows Copilot weniger aufdringlich machen – aber nicht nur alle Nutzer
Microsoft versprach schnell Nachbesserungen, doch die waren in der Kürze der Zeit nicht zu schaffen, schließlich sollten die neuen Notebooks schon vier Wochen später auf den Markt kommen.
So blieb dem US-Konzern nichts anderes übrig, als die zentrale Funktion von Windows 11 Version 24H2 auf den Copilot-Plus-Geräten zurückzuziehen und auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Dabei blieb es bis heute, ein neuer Starttermin existiert weiterhin nicht.
Untätig war Microsoft in der Zwischenzeit jedoch nicht: Ende des vergangenen Jahres wurde Recall erstmals wieder in eine Vorabversion des Insider-Programms integriert.
Zunächst für Notebooks mit Snapdragon-XCPUs auf ARM-Basis, kurze Zeit später auch für solche mit klassischer x86-Architektur und Prozessoren von AMD und Intel. Voraussetzung ist, dass die Rechner als Copilot Plus zertifiziert sind, also über eine KI-Leistung von mindestens 40 TOPS (Trillion Operations Per Second) verfügen.
Die passende Hardware vorausgesetzt, kann jeder Interessierte nach einer kostenlosen Registrierung beim Windows Insider Programm die Insider Preview herunterladen, installieren und Recall somit ausprobieren.
Auf einem produktiv genutzten System sollte man dies aus Stabilitäts- und Datenschutzgründen derzeit jedoch nicht tun.
Um herauszufinden, was Recall künftig leistet, haben wir die Windows-11-Vorabversionen ausprobiert. Unser zweimonatiger Test reichte von der Version mit Build-Nummer 26120.3000 aus dem Entwicklerkanal (Dev Channel) bis zum Build 26120.3380 aus dem Beta-Kanal.
Prinzipiell waren all diese Versionen schon deutsch lokalisiert, wenngleich anfangs manche Einstellungen noch nicht übersetzt waren. Zum Schluss aber wirkte alles ziemlich fertig.
Zweiter Versuch: Deutliche Fortschritte beim Datenschutz
Nach dem Datenschutz-Desaster im vergangenen Sommer musste der zweite Versuch sitzen, und in der Tat hat Microsoft geliefert.
Zwingende Voraussetzung schon für die Einrichtung von Recall sind nun die Anmeldung über Windows Hello mit biometrischer Authentifizierung oder PIN, die Festplattenverschlüsselung – Bitlocker in Windows 11 Pro, die Geräteverschlüsselung in der Home-Edition – sowie Secure Boot.
Ist eines dieser Schutzsysteme nicht aktiv, macht der Einrichtungsassistent darauf aufmerksam und lässt sich erst aktivieren, wenn alles eingeschaltet ist.

Einrichten und nutzen lässt sich die neue Funktion erst, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Einschalten von Windows Hello, Verschlüsseln der Festplatte und Aktivieren von Secure Boot.
IDG
Danach lädt Windows 11 riesige KI-Modelle aus dem Internet nach, die anschließend in der Rubrik „KI-Komponentenupdates“ des Updateverlaufs erscheinen.
Zudem müssen Besitzer von Copilot-Plus-PCs Recall nun bewusst einschalten, wenn sie die Aufzeichnung und Suche nutzen möchten (Opt-in). Dazu ist ebenso wie für andere Einstellungen und jede Suchanfrage eine Authentifizierung über Windows Hello erforderlich.
Die Daten sind so durch den TPM-Sicherheitschip des PCs geschützt und lassen sich auf anderer Hardware nicht entschlüsseln und öffnen.
Deutlich erweitert hat Microsoft zudem die Einstelloptionen in den Windows-Einstellungen: So lässt sich unter „Datenschutz und Sicherheit –› Recall und Momentaufnahmen“ nun festlegen, wie viel Platz die gespeicherten „Momentaufnahmen“ auf der Festplatte maximal belegen dürfen: Der Wert kann stufenweise zwischen 25 und 150 GByte variieren.
Windows Copilot+: Das muss Microsoft dringend besser machen
Ist die eingestellte Grenze erreicht, werden die ältesten Inhalte gelöscht. Darüber hinaus kann man den Speicherzeitraum auf 30, 60, 90 oder 180 Tage begrenzen. Schließlich lassen sich die Screenshots manuell löschen, entweder alle oder die der vergangenen Stunde, der letzten 24 Stunden oder sieben beziehungsweise 30 Tage.
Positiv fällt der oben eingeblendete Hinweis auf, dass man bestimmte Apps und Webseiten über Filterlisten von der Speicherung ausnehmen kann und soll.
Damit lassen sich lokale und Webanwendungen mit sensiblen Daten wie Passwortmanagement, Onlinebanking und Ähnliches von vornherein ausklammern.
Im Prinzip soll dies bereits das standardmäßig eingeschaltete „Filtern vertraulicher Informationen“ erledigen, da aber muss man sich auf die Einstellungen und die Datenbankpflege durch Microsoft verlassen.
Alternativ unterbricht man das Speichern vor einer Passworteingabe kurz über die Funktion „Bis morgen anhalten“ und aktiviert Recall unmittelbar danach wieder.

Recall wird optionaler Bestandteil von Windows 11 in der Homeund Pro-Variante. Über die „Windows-Features“ lässt es sich auch wieder komplett vom System löschen.
IDG
Das manuelle Hinzufügen zu den Filterlisten über die mit „App hinzufügen“ und „Webseite hinzufügen“ bezeichneten Schaltflächen ist schnell erledigt. Bei Onlineinhalten wirkt der Filter offenbar auch rückwirkend:
Wer beispielsweise sein Onlinebanking in der Vergangenheit schon aufgerufen hatte, kann die Banking-URL auch nachträglich per Copy und Paste zum Filter hinzufügen, wie sich beim Testen zeigt. Recall löscht dann auch bereits gespeicherte Screenshots wieder.
Unterstützt wird die Filterfunktion in Chrome, Edge, Firefox, Opera, Vivaldi und weiteren Browsern auf Chromium-Basis. Grundsätzlich nicht gespeichert werden alle „privaten“ oder Inkognito-Fenster.
Weitere Infos zum Datenschutz finden Sie hier. Dort versichert Microsoft auch, dass alle Momentaufnahmen lokal und verschlüsselt auf dem Gerät gespeichert und weder an Microsoft selbst noch an Dritte weitergegeben werden.
Wie Recall funktioniert – und was die Suche bisher nicht findet
Neben den Änderungen bei Datenschutz und Co. stellt sich die Frage, wie sich die neue Funktion in der Praxis schlägt – wohlgemerkt noch in den Vorabversionen. Starten lässt sich Recall über das Icon in der Taskleiste oder den Shortcut Windows-J.
Dazu ist jeweils ein Scan von Gesicht oder Fingerabdruck beziehungsweise die Eingabe der Windows-PIN erforderlich.
Auf der Bedienoberfläche stehen oben eine Zeitleiste zum Scrollen durch die gespeicherten Screenshots und ein Suchfeld für die Eingabe eines oder mehrerer Stichworte zur Verfügung.

Recall muss jetzt manuell eingeschaltet werden. In den Einstellungen lassen sich die Screenshots auch wieder löschen sowie Apps und Webseiten gezielt vom Speichern ausnehmen.
IDG
Die Zeitleiste ist der Übersicht halber in Zeitblöcke unterteilt, in denen man den PC verwendet hat und somit Recall aktiv war. Führt man den Mauszeiger über diese Segmente nach links oder rechts, scrollt man horizontal durch die Vorschaufenster der Momentaufnahmen.
Ein Mausklick auf eines der Bilder vergrößert es und startet die lokale KI-Analyse. Abhängig vom Text- oder Bildinhalt bietet die Weiterverarbeitungsfunktion „Click-to-Do“ Aktionen wie die Übernahme von extrahiertem Text in die Websuche, Textverarbeitung, Bildbearbeitung und die Suche in der Cloud oder das Öffnen in einer App.
Unter der ausgewählten Momentaufnahme stehen weitere Optionen zur Verfügung, beispielsweise das Öffnen in der von Recall erkannten Anwendung oder das Teilen einer Datei.
Wer statt der Zeitleiste das Suchfeld verwendet, kann wie bei Google mit verschiedenen Begriffen mehr oder weniger spezifisch suchen – hier muss man sich gegebenenfalls zum Gesuchten vortasten.
Recall stellt die Ergebnisse unterteilt als „Textübereinstimmungen“ und als „Visuelle Übereinstimmungen“ dar. Die Screenshots mit der größten Deckung erscheinen vorn. Anfangs war es möglich, die Textübereinstimmungen auf eine App zu beschränken.
Später waren die Vorschaubilder nur noch mit der zugehörigen Anwendung markiert, das Filtern jedoch deaktiviert. Die „Click-to- Do“-Funktionen sind hier übrigens die gleichen wie über die Zeitleiste.
Weitere Infos und Beispiele erläutert Microsoft online.

Zum Auffinden der Aufzeichnungen tippt man entweder einen Begriff ins Suchfeld oder scrollt durch die Zeitleiste. Dabei zeigt sich, dass Recall alle 30 Sekunden Screenshots erstellt.
IDG
Im Praxiseinsatz hinterlassen die getesteten Recall-Fassungen einen zwiespältigen Eindruck: Einerseits funktioniert die Suche durchaus beeindruckend, andererseits offenbart sie gewaltige Lücken.
Denn ganz offenbar berücksichtigt das System zu wenig, was am PC tatsächlich passiert. Das Geschehen mithilfe von Screenshots im festen Zeitintervall von 30 Sekunden festhalten zu wollen reicht eben nicht, wenn man in rascher Folge weiterklickt oder Fenster wechselt.
Deutlich wird dies, wenn man die von Recall festgehaltenen Bilder mit einem mitlaufenden Screencast-Video vergleicht. Bei der Aufnahmefrequenz muss Microsoft also noch nachjustieren, genügend KI-Power dürfte auf den Copilot-Plus-Geräten ja zur Verfügung stehen.

Die Recall-Suche über Stichworte unterteilt die Resultate hier in Text- und visuelle Übereinstimmungen. Texttreffer sind den Anwendungen zugeordnet, aus denen die festgehaltenen Inhalte stammen.
IDG
Ärgerlich ist zudem, dass Recall im Webbrowser nicht zwischen echtem Inhalt und Werbung unterscheiden kann. Die „falschen“ Treffer erschweren das Sichten der Ergebnisse unnötig, da muss man sich eventuell mit dem Installieren eines Werbeblockers helfen.
Recall ist erstmals auch in Europa verfügbar – und ein Fazit
Dass Microsoft Recall nun erstmals auf Deutsch und in weiteren europäischen Sprachen anbietet, stimmt zuversichtlich. Offenbar will man die Funktion prinzipiell auch in der EU anbieten.
Das ist bei Anwendungen, die mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, wegen der strengen Gesetzgebung in Europa keineswegs selbstverständlich. Eine ganze Reihe der Tech-Riesen fürchtete sich in den vergangenen Monaten vor teuren Rechtsverstößen oder wollte sich von Mitbewerbern nicht so in die Karten schauen lassen, wie es die EU fordert.
Festzuhalten ist ferner, dass Microsoft beim Datenschutz deutlich nachgebessert und Recall nun so aufgesetzt hat, dass die Aufzeichnungen nicht einfach an Dritte geraten.
Wann es die neue KI-Funktion ins normale Windows schafft und damit für die Allgemeinheit freigeschaltet wird, bleibt vorerst offen. Immerhin wurde das neue Feature inzwischen aus dem frühen Entwicklerkanal des Insider-Programms in die Beta-Testphase übernommen.
Übrigens: Wer Recall wieder ganz loswerden möchte, kann es in der Einstellungen-App nicht nur ausschalten, sondern in den Windows-Features auch deinstallieren.