Mikel Arteta drückte Kai Havertz an sich, als hätte dieser den Siegtreffer für den FC Arsenal erzielt. Dabei stand der Offensivallrounder gerade mal am Seitenrand zu seiner Einwechslung bereit. So groß war die Freude des Trainers Arteta über die Rückkehr des deutschen Nationalspielers, nachdem dieser zuletzt aufgrund einer schweren Oberschenkelverletzung und anschließender OP für drei Monate ausgefallen war. Und wahrscheinlich steckte in dieser Geste zudem die Hoffnung, dass Havertz seinen ersten Test unter Wettkampfbedingungen gegen Newcastle United am Sonntagabend in der Premier League gut überstehen würde – was dann auch der Fall war.
Nach seiner Einwechslung in der 76. Spielminute hielt Havertz nicht nur der Belastung stand, sondern lieferte darüber hinaus eine für ihn typische Rundumleistung ab. Er war in die Angriffe des Teams eingebunden, sortierte sich in die Abwehrarbeit ein, rieb sich in Zweikämpfen auf, sprintete mehrmals über den gesamten Platz – und grätschte in der Nachspielzeit einen Gegenspieler ab. Havertz half kurzum mit, das 1:0 (0:0) gegen den Tabellennachbarn Newcastle über die Zeit zu bringen, mit dem Arsenal zum zweiten Mal in Serie den zweiten Platz in der Liga dingfest machte – diesmal hinter dem FC Liverpool, nachdem sich in der Vorsaison Manchester City den Titel gesichert hatte.
All das tat Havertz von seiner zuletzt angestammten Mittelstürmerposition aus, die für ihn passenderweise sein Vertreter Mikel Merino vor einer Woche durch einen Platzverweis unfreiwillig freigeräumt hatte. Aber auch so wäre der 25-Jährige sicher zum Einsatz gekommen, denn er gehört zu den hoch angesehenen Spielern im Klub. Wie schmerzlich er vermisst worden war, zeigte sich, als er den Platz betrat. „Please welcome back: Kai Havertz“, lärmte der Stadionsprecher, die Fans jubelten daraufhin fast so laut wie nach dem Siegtor von Declan Rice (55.). Dass Havertz schon wieder spielen kann, obwohl die Ärzte ein Saisonaus befürchtet hatten, ist Havertz’ Disziplin und Ehrgeiz in der Reha geschuldet – zwei Fähigkeiten, die angesichts seiner Spielintelligenz manchmal vergessen werden.
Havertz nutzte die erste längere Verletzungspause seiner Laufbahn auch, um an seiner Fitness zu arbeiten
Arteta lobte vor dem Newcastle-Spiel, dass Havertz „alle Maßstäbe zerstört hat, die wir in den vergangenen zehn Jahren im Fitnessraum hatten“. Es sei unglaublich gewesen, wie er die bestehenden Referenzen in Bezug auf Kraft, Beschleunigung, Muskelmasse, Beweglichkeit gesteigert habe, so der Trainer. Er stellte bei Havertz sogar eine „Transformation seines Körpers“ fest im Vergleich zu seiner Verfassung vor der Verletzung. Diesen Eindruck teilten zahlreiche Arsenal-Fans während des Kurzeinsatzes, sie fanden, Havertz habe in Bezug auf Körperstabilität zugelegt und wirkte muskulöser als sonst. Havertz nutzte die erste längere Verletzungspause seiner Laufbahn, um sich physisch neu aufzustellen. Bis dahin war er immerzu im rastlosen Dauereinsatz gewesen, der ihm kaum eine Gelegenheit gab, über einen längeren Zeitraum speziell an seiner Fitness zu arbeiten. Als Motivation diente eine mögliche Endspielteilnahme mit Arsenal in der Champions League, zu der es nach dem jüngsten Halbfinalaus gegen Paris Saint-Germain aber nicht kommt.
Dafür besitzt Havertz eine sehr reale Chance, von Bundestrainer Julian Nagelsmann in den Kader der Nationalmannschaft für die Nations-League-Endrunde in Deutschland im Juni berufen zu werden. Dies würde ihm einerseits ermöglichen, trotz des Saisonendes im Klubfußball weiter Spielpraxis zu sammeln. Und andererseits könnte er jene Mittelstürmervakanz der Deutschen lösen, die er durch seine Abwesenheit indirekt hinterlassen hat. Zuletzt vertrat ihn bei DFB-Länderspielen der bei Borussia Mönchengladbach angestellte Tim Kleindienst, der jedoch vor ein paar Tagen eine gravierende Knieverletzung erlitt und nicht zur Verfügung steht. Auch Havertz’ Legionärskollege Niclas Füllkrug vom Premier-League-Klub West Ham United, der nach seiner eigenen Verletzungsmisere in dieser Saison auf eine Rückkehr ins DFB-Team hofft, sucht nach seiner Topform.
Bei den Planungen dürfte eine zentrale Rolle spielen, das Pensum von Kai Havertz richtig zu dosieren. Denn einen möglichen Rückschlag bei ihm gilt es tunlichst zu vermeiden, weil es für ihn bei Arsenal derzeit keinen adäquaten Ersatz gibt. Vor seinem Einsatz gegen Newcastle United zögerten deshalb die Arsenal-Ärzte, ob das alles nicht zu früh sei, verriet Arteta. Aber Kai Havertz drängte unbedingt darauf: Er wollte spielen. Und er spielte.