Hier ein Sektchen zum Frühstück, da ein Häppchen, dort ein Glücksspiel: Kreuzfahrten boomen, und an Bord wird gern über die Stränge geschlagen. Hinter dem Komfort lauert die alte Versuchung der Maßlosigkeit, diskret verpackt im All-inclusive-Angebot. Eine kritische Bestandsaufnahme.
Sie zählen zu den unumstrittenen Gewinnern der Reiselust der Deutschen: 2024 waren 3,84 Millionen Bundesbürger quer über alle Altersklassen und Berufsgruppen mit Kreuzfahrtschiffen auf den Weltmeeren oder Flüssen unterwegs – eine Vervierfachung der Reiselustigen zu Wasser seit 2005.
Deutsche Kreuzfahrer gesellen sich damit auf allen Kontinenten zur gleichermaßen reisefreudigen und stetig wachsenden internationalen Kreuzfahrtgemeinde. Dabei geht die Glückseligkeit der Kreuzfahrtbegeisterten angesichts ihres Auftritts in Massen immer mehr zulasten der Lebensqualität von Bewohnern touristisch beliebter Ankerpunkte.
Der meist miserable CO₂-Fußabdruck befeuert zudem den Klimawandel, und zahlreiche andere Belastungen gehen von den „Costa“-, „Aida“- und „MeinSchiff“-Schiffen aus. Die Reedereien sehen sich schon seit einiger Zeit daher veranlasst, ihre positiven Beiträge zu den globalen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen in Hochglanzberichten zu präsentieren.
Viel wird darin über die Minderung des ökologischen Fußabdrucks und über den sozialen Umgang mit der Belegschaft referiert, kaum aber über die Nachhaltigkeit der Passagiere, also der Kunden. Wie steht es aber um die Schar der Kreuzfahrtbegeisterten hinsichtlich deren persönlicher Nachhaltigkeit, während sie sich den Annehmlichkeiten einer Kreuzfahrt hingeben?
Essen und Trinken bis zum Abwinken
Schaut man sich genauer an, was den maritimen Reiselustigen weitverbreitet auf seinen „Traumfahrten“ erwartet, so fallen früher oder später Problemzonen auf, die im persönlichen Einzelfall durchaus das Potenzial zum Alptraum haben können. So ist es auf Kreuzfahrtschiffen weitverbreitet, All-inclusive-Angebote zu offerieren, nicht selten sogar alternativlos. Und das heißt meistens: Essen und Trinken bis zum Abwinken, was bei etlichen Passagieren recht spät einsetzen kann.
Die lukullischen Verlockungen können dann selbst bei disziplinierten Gästen die Dämme der Zurückhaltung brechen lassen und unversehens zu bedenklicher und häufiger Völlerei führen. Beim Betrachten der die Decks bevölkernden Gäste kann einem oft schon beim Check-in einer Seereise auffallen, dass sich ein nicht unerheblicher Teil bereits mit einem erheblichen Übergewicht die Reling entlang müht.
Vermutlich haben die wenigsten vor Reiseantritt ihren Hausarzt konsultiert und um dessen Fachmeinung gebeten. Sind Gelenke und Organe gewappnet für die drohende Essensfülle aus den Kreuzfahrtkombüsen auf der anstehenden Genussreise?
Drei Kilo Gewichtszunahme – pro Woche
Pro Woche mindestens drei Kilo Gewichtszunahme sind grober Durchschnitt auf All-inclusive-Touren – verantwortungsvolles Speisen vorausgesetzt, wohlgemerkt. Und das kann in Anbetracht ständiger köstlicher Verlockungen, teilweise rund um die Uhr, schnell aus dem Ruder laufen. Besonders gefährdet dürften all jene sein, die ohnehin im Alltag ihr Körpergewicht kaum im Zaum halten können.
Nun wird jedes Essen allzu gerne mit einem guten Tropfen veredelt – meist schon das Frühstück mit einem Gläschen Sekt, das selbstverständlich auch vor, während und nach dem Mittag- und Abendessen, gerne auch immer mal zwischendurch, genehm ist. Viele Reedereien bieten eine Fülle von Alkoholika im All-inclusive-Programm an, oftmals eine größere als an alkoholfreien Getränken.
So ist es auf den „MeinSchiff“-Riesen von TUI üblich, dass von nicht selten mehr als 300 Getränken auf den Karten der Bars nur etwa ein Fünftel alkoholfrei ist. Die Fülle und der Variantenreichtum der alkoholischen Cocktails, Highballs und Longdrinks ist beeindruckend. Hinzu kommen noch kostenlose Sonderdrinks anlässlich spezieller Bord-Events („Heute mixt der Kapitän für Sie auf dem Pooldeck“).
Wer dann immer noch nicht tief genug ins Glas geschaut hat, dem werden noch Alko-Workshops, Verköstigungen edler Brände oder Whiskey an Genussnachmittagen offeriert. Es geht also durchaus sehr hochprozentig auf Kreuzfahrtschiffen zu – Dry-January-Kampagnen der Gesundheitskassen oder den Warnungen der aktuellen Gesundheitsstudie des Bundesbeauftragten zum Trotz.
Alkohol inklusive, Mineralwasser extra
Dass dann der Alkoholabstinente für ein Markenmineralwasser auch noch extra zur Kasse gebeten wird, während Markenbiere, Weine und andere, durchaus hochwertige Alkoholika inklusive sind, zählt auf manchen maritimen Cruisern nicht nur zu den Kuriositäten, sondern ist gesundheitlich bedenklich und gegenüber der alkoholfreien Gästeschar auch irgendwie finanziell aus der Balance geraten.
Die Unterstützung des menschlichen Hangs zum Ungesunden findet auf Kreuzfahrtschiffen seine Fortsetzung oft im Glücksspiel. Automaten wie man sie an Land oft nur am Rande von Autobahnen oder in Seitenstraßen findet, sind bei Kreuzfahrtschiffen ganz offen ins Freizeitprogramm integriert. Zusätzlichen Anreiz erzeugen nicht selten Bonus-Jettons, Freispiele und spezielle Aktionen zu Poker oder Blackjack.
Wer seinen etwaigen Gewinn gebührend genießen will, kann neben edlen Bränden sicherlich auch noch eine passende Zigarre in den reichhaltig angebotenen Tabakwaren auftun. Zum Leidwesen der meist in Überzahl an Bord befindlichen Nichtraucher ist das Rauchen auf den Balkonen der Gästekabinen oft gestattet. Die unfreiwilligen Passivraucher auf den Nachbarbalkonen werden gesundheitlich beeinträchtigt.
In Bezug auf ihr gesundes und finanzielles Wohlergehen kann Nachhaltigkeit auf Kreuzfahrtschiffen aus Sicht mancher Gäste also durchaus eine zwiespältige Sache sein. Zwar finden sich in den Bordprogrammen regelmäßig Vorträge und Workshops zum Glücklichsein oder -werden. Doch wie man gesund oder abstinent durch eine Kreuzfahrt kommt, ist kaum das Thema.
Herausforderungen persönlicher Nachhaltigkeit ignoriert
Bisher scheinen etlichen Anbietern die Dimensionen, gar Herausforderungen der persönlichen Nachhaltigkeit ihrer Gäste nicht bewusst zu sein, oder sie ignorieren sie. Noch immer angesichts der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Zeit sind die Beförderungskapazitäten enorm ausgeweitet. Die politischen Anforderungen zur Klimafreundlichkeit wachsen. Da können die eigentlichen Kunden bei den Reedereien schon einmal aus dem Fokus des Nachhaltigkeitsbrennglases geraten.
Umso wichtiger sollte es sein, dem Kunden und seiner persönlichen Nachhaltigkeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das dritte Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen, Gesundheit und Wohlergehen, bietet hier gute Anschlussfähigkeit an die von den Kreuzfahrtgesellschaften in deren Nachhaltigkeitsberichten so beliebten Selbsteinordnungen ihrer als wesentlich erachteten globalen Nachhaltigkeitsfelder.
Die Kunden werden es sicherlich danken, auch wenn sich etliche vielleicht selbst noch gar über ihr persönliches Gesundheitsrisiko auf hoher See bewusst sind. Gesundheit sollte auch im Interesse der Reedereien nicht zum individuellen „Kreuz der Kreuzfahrt“ werden.