In der ersten Regierungserklärung nach seiner Wiederwahl als Hamburger Bürgermeister hat Peter Tschentscher (SPD) mehr Wohnungsbau, mehr Investitionen und die Bereitschaft für ein neues Verkehrsmittel versprochen. Für die Opposition ein lahmes „Weiter-So“.
Zwei Wochen nach seiner Wiederwahl hat Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) im Parlament die groben Züge für die kommende Regierungszeit vorgestellt. In seiner Regierungserklärung zeichnete der 59-Jährige die langen Linien nach, die die rot-grüne Regierung seit nunmehr zehn Jahren gemeinsam verfolgt und für die kommenden fünf Jahre weiter verfolgen will.
„Stabilität und Verlässlichkeit der Regierungsarbeit sind von großer Bedeutung, denn wirklich nachhaltige Entwicklungen lassen sich nicht von einem Wahltermin auf den nächsten erreichen“, erklärte Tschentscher. Überall auf der Welt zeige sich, „dass Länder und große Metropolen dann erfolgreich sind, wenn sie ihre Strategien langfristig verfolgen.“
Dazu gehört in Hamburg nach Ausführung von Tschentscher etwa, dass man in der Stadt weiter in Schulen, Kitas und Hochschulen investieren werde, um deren hohen Standard zu erhalten. So habe sich Hamburg in den vergangenen Jahren etwa in Bildungsvergleichen mit anderen Ländern enorm nach oben gearbeitet. Im Bereich der Hochschulen werde man weiter nach Exzellenz streben.
Ebenfalls zu diesen langen Linien gehört nach Ansicht des Bürgermeisters, mehr Personal bei Polizei und Feuerwehr möglich zu machen und deren Ausstattung etwa mit neuen Leitzentralen zu verbessern. Noch größere Investitionen kündigte Tschentscher für die Stadt als solche an. „In den kommenden Jahren werden wir 30 Milliarden Euro in die städtische Infrastruktur investieren – in Straßen, Brücken und Schienen, in Kaimauern, Logistikflächen und Hafenbahn, in den Bau von U- und S-Bahnen, in Energie- und Datennetze.“
Im Wohnungsbau versprach Tschentscher dem Ziel von 10.000 genehmigten Wohnungen wieder näherzukommen und den Bau von 3000 geförderten Wohnungen im Jahr zu schaffen. Zuletzt hatte Hamburg etwa die Möglichkeiten der Förderungen im sozialen Wohnungsbau vereinfacht und damit auch der Baubranche in der Stadt geholfen. Hamburg hatte etwa im vergangenen Jahr geringere Dellen in den Wohnungsbauzahlen hinnehmen müssen als andere Städte.
„Die Corona-Pandemie, der Ukrainekrieg, die Migration, die Energiepreiskrise haben Deutschland und viele Länder aus der Bahn geworfen“, erklärte Tschentscher. Andere Länder hätten Investitionsprojekte abbrechen, Personal entlassen und Leistungen der öffentlichen Hand kürzen müssen. „Andere Städte kapitulieren vor den Krisen.“ Hamburg hingegen gestalte seine Zukunft „weiter mit Kraft und Zuversicht.“
Ein Beispiel dafür, dass Hamburg weiter vorausblicke sei etwa der klare Fokus auf Klima- und Umweltpolitik. „Wer sich darüber Illusionen macht und auf Konzepte der Vergangenheit setzt, verliert Zeit – und wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“, sagte Tschentscher. Hier kündigte der Bürgermeister an, dass der Senat in allen Politikfeldern streng darauf achten werde, die strengen Klimaziele zu erreichen, möglichst sogar noch zu übertreffen. So sei es etwa der Wunsch, die angepeilte Klimaneutralität noch früher als bis 2045 zu erreichen.
Neues Kapitel im Personenverkehr
„Der zweite komplexe Transformationsprozess ist die Mobilitätswende“, erklärte der Bürgermeister. Der „Kern einer erfolgreichen Mobilitätsstrategie für eine Millionenmetropole wie Hamburg“ bestehe darin, das Autofahren nicht zu unterbinden, sondern „in ein integriertes System moderner und klimafreundlicher Mobilitätsangebote einzubinden.“
Hier gab es dann auch eine von nur zwei Ankündigungen, die noch nicht lange bekannt sind. Tschentscher kündigte den Bau einer Hyperloop-Teststrecke für eine Magnetschwebebahn, die in einer Vakuumröhre Geschwindigkeiten von über 400 km/h erreichen kann, an. Hamburg unterstützte die Bewerbung des Konsortiums Mode 5, das sich beim Bund für die Förderung einer Referenzstrecke auf Hamburger Gebiet bewirbt. Tschentscher sprach von einem Projekt, „das in Deutschland ein neues Kapitel im Personenfernverkehr aufschlagen würde“. Mitte April hatte die Hansestadt einen Letter of Intent mit dem Unternehmenskonsortium unterzeichnt.
Zweite, kleinere Überraschung war Tschentschers Ankündigung, in der Hansestadt ein zweites Referendum für eine Olympiabewerbung zu starten. Würden sich die Hamburger für die Kandidatur aussprechen, könnte das ein Trumpf gegenüber der innerdeutschen Konkurrenz wie München oder Berlin sein. Allerdings hatten sich die Hamburger im Jahr 2015 schon einmal mit einer Kandidatur befasst, damals fiel das Votum beim Referendum denkbar knapp gegen eine Bewerbung aus.
CDU-Chef fragt: „Was fällt Ihnen da ein?“
Euphorie löste die Ankündigung Tschentschers im Parlament denn auch nicht aus. Oppositionsführer Dennis Thering (CDU) kritisierte Tschentscher und das von ihm geschmiedete Bündnis mit den Grünen als ambitionslose Fortsetzung der vergangenen zehn Jahre. „In einer Zeit, in der sich alles rasant ändert. Einer Zeit, in der Europa, Deutschland und Hamburg von allen Seiten massiv unter Druck sind. In einer Zeit, in der die Grundlagen unseres Wohlstands erodieren. In der KI in weite Teile unseres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens vordringt. Was fällt Ihnen da ein? Ein Einfaches Weiter-so“, kritisierte der 41-Jährige, der nach der Wahl – ebenso wie die Grünen – zwei Mal mit der SPD sondiert hatte.
Was Hamburg stattdessen bräuchte, sei „eine hohe Priorität für die Wirtschaftspolitik. Denn eine starke Wirtschaft ist das Rückgrat der Stadt, sie schafft Arbeitsplätze, fördert Innovationen und sichert sozialen Wohlstand“, so der CDU-Fraktionschef. Trotz aller Kritik, die er vorwiegend an den Grünen auch sehr scharf im Ton äußerte, bot Thering, der auch Landesvorsitzender der Hamburger Christdemokraten ist, dem Senat die Kooperation an. „Bei für Hamburg wichtigen Vorhaben und Infrastrukturprojekten werden wir Sie gerne unterstützen, auch wenn es darum geht, entsprechende Mittel bei der Bundesregierung einzuwerben“.
Allerdings kündigte Thering auch an, aktive Oppositionspolitik zu machen. „Wir werden darauf drängen, dass es nicht bei dem bleibt, was Sie im Koalitionsvertrag vereinbart haben! Denn das schadet Hamburg!“
Über 80 Mal enthalte der Koalitionsvertrag Prüfaufträge, „zigmal finden sich nur vage Aussagen“, stieg auch Heike Sudmann, die Fraktionsvorsitzende der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft in die Kritik ein. Das sei nach zehn Jahren gemeinsamer Regierung ein sehr fragwürdiger Umgang mit der Verantwortung eines Senats, so Sudmann. „Was machen sie eigentlich beruflich?“, fragte sie in Richtung Senatsbank. „Sie sind leider weiter ein gutes Arbeitsbeschaffungsprogramm für die Opposition.“
Nur nach Marmstorf statt auf den Mond
AfD-Fraktionschef Dirk Nockemann stieß sich unter anderem an der Selbstgefälligkeit, mit der zunächst Tschentscher und nach Thering dann auch die Fraktionsvorsitzenden von SPD und Grünen, Dirk Kienscherf (SPD) und Sina Imhof (Grüne) vor dem Parlament gesprochen hatten. Imhof etwa hatte folgende Aussagen gemacht: „Wir machen so weiter! Denn für Hamburg ist es besser so.“ Kienscherf hatte sich stark an Thering abgearbeitet und diesem vorgeworfen, die Arbeit des Senats und der Regierungsfraktionen sowie die Situation der Stadt vollkommen falsch darzustellen. „Sie haben über zwölf Prozent der Stimmen verloren. Etwas mehr Bescheidenheit“, rief Nockemann dem Bürgermeister und den beiden Fraktionsvorsitzenden zu. Tschentscher warf er zudem vor, zu wenig Ideen für ein Hamburg der Zukunft zu haben. „John F. Kennedy wollte zum Mond. Sie kommen mit Herrn Tjarks im Lastenrad nur bis nach Marmstorf“. Marmstorf ist ein kleiner Stadtteil am südlichen Rand der Hansestadt.
Tschentscher hörte sich die Reaktionen auf seine Regierungserklärung weitestgehend ungerührt an. Vor genau zwei Wochen war er im Amt bestätigt worden. 71 Ja-Stimmen erhielt der 59 Jahre alte Sozialdemokrat. 70 Stimmen hat das Bündnis aus SPD und Grünen zusammen, das wie Tschentscher in die dritte Amtszeit geht. Die Opposition stellt 51 Abgeordnete im Landesparlament.
Tschentscher regiert die Hansestadt seit dem Weggang von Olaf Scholz ins Bundeswirtschaftsministerium im Jahr 2018. Bereits seit 2011 gehört der promovierte Labormediziner dem Hamburger Senat an. Vor dem Wechsel in den Chefsessel im Rathaus war er unter Scholz Finanzsenator.
Redakteurin Julia Witte genannt Vedder arbeitet in der Hamburg-Redaktion von WELT und WELT AM SONNTAG. Seit 2011 berichtet sie über Hamburger Politik.