Enttäuscht? Natürlich waren sie das, schließlich hatten sie doch alle einen historischen Abend erleben wollen. Bis zu 100.000 Fans von Arminia Bielefeld sollen in der Hauptstadt gewesen sein, nur 25.000 von ihnen hatten das Glück besessen, an ein Ticket für dieses Finale zu bekommen. Die großen Träume von der einmaligen Sensation, von der Teilnahme an der Europa League, sie zerplatzten schnell – schon zur Halbzeit war wohl allen bewusst, dass es nicht reichen würde für ihren DSC.
Doch der Arminen-Fan hat mit diesem Verein mehr durchgemacht als eine Niederlage in einem Pokalfinale, einige Höhen, viele Tiefen, und man darf davon ausgehen, dass nichts davon vergessen ist, weil sich vieles eingebrannt hat im Gedächtnis. Dort wird auch dieser Abend seinen Platz bekommen, vielleicht eine einmalige Angelegenheit, vielleicht eben auch nicht.
Das weiß man nie bei dieser Arminia, die vor zwei Jahren nach dem Abstieg in Liga drei in Trümmern lag und ohne Mannschaft dastand, die völlig den Rückhalt ihrer Fans verloren hatte. Und die nun an diesem Abend, als alles vorbei war, frenetisch gefeiert wurde. Teilweise war es im Bielefelder Block, den kein Fan verlassen hatte, genauso laut wie auf der anderen Stadionseite, wo sich der VfB Stuttgart bejubeln ließ. Ein ungewöhnliches Spektakel nach einem Pokalfinale, in diesem Ausmaß wohl eher einmalig.
Und dann schießt Sarenren Bazee …
Ob es auch anders hätte kommen können? Die Frage werden sich alle, die mit der Arminia sympathisieren, noch lange stellen und natürlich nie eine Antwort darauf finden. In der zwölften Minute schien die ganz besondere Cinderella-Geschichte dieser Pokalsaison ihre spektakuläre Fortsetzung zu finden. Der Plot dieses Endspiels hatte eine erste besondere Pointe vorgesehen, die unvermeidlich anmutete. Für eine Sekunde hielten sie alle die Luft an, die 25.000 in blau und die 25.000 in rot-weiß gekleideten Fans, als der Ball im Fünfmeterraum zum völlig freistehenden Bielefelder Sarenren Bazee gelangt war.
Noch ein Wimpernschlag, dann würde die völlige Ekstase im Bielefelder Block ausbrechen und sich auf der anderen Seite blankes Entsetzen breit machen. Die einen könnten beginnen zu fliegen, die anderen zu zweifeln. Das hätte alles sein können. Als der Wimpernschlag vorbei war, hatte Bazee den Ball an die Latte geschossen.
Eine gute Viertelstunde später führte der VfB, eingeladen von Bielefelder Fehlern mit Ballverlusten in der eigenen Hälfte und einem Slapstick-Missverständnis 0:3, lange deutete danach vieles auf ein komplettes Desaster für die anfangs so forsche Arminia hin. Es wurde ein versöhnliches Ende, das aber schnurstracks wieder zum Anfang führte. Wie zerfahren der VfB in den letzten Minuten auf die beiden Gegentore reagierte, durfte allen noch einmal vor Augen führen, was diese zwölfte Minute hätte anrichten können.
Aber um die Arminia zu verstehen, lohnt es sich, zwei Jahre zurückzublicken. Da war das Relegationsspiel einer seltsam teilnahmslosen Mannschaft in Wiesbaden 0:4 verloren gegangen, die Ultras hatten um ein Haar für einen Spielabbruch gesorgt und der Verein war in der bundesweiten Sympathieskala quasi nicht mehr messbar.
Nach dem Abstieg stand der Verein ohne Mannschaft da, baute in Windeseile ein neues Team zusammen, das in der vergangenen Saison mühsam den Sturz ins Amateurlager verhinderte, aber die Fans in Bielefeld zurückgewann und dem viele nun die Daumen gedrückt hatten.
„Gemeinsam triumphieren“, stand auf den zigtausendfach verkauften Fan-Shirts zu diesem Pokalfinale, und die riesige blaue Gruppe bewies – abgesehen von der offenbar unvermeidbaren Pyro-Begeisterung einiger – viel Gespür. Sie widmete dem Arminen-Ultra, der den Attentäter bei dem Messerangriff vor einer Bar in der vergangenen Woche möglicherweise entscheidend gestoppt hatte und schwer verletzt hatte, ein Banner. Und sie feierte ihre Spieler, vor dem Spiel, während des Spiels, nach dem Spiel.
Und sie feierten auch am Sonntag, als die Saison mit einer rauschenden Party in der Bielefelder Innenstadt samt Autokorso gebührend bejubelt wurde. Nebenbei hatte die Arminia nach der Pokalsensation im Halbfinale gegen Titelverteidiger Leverkusen das Kunststück geschafft, ganz bei sich zu bleiben und von Platz vier auf Platz eins in der dritten Liga zu springen und aufzusteigen.
Und ein Pokal kann ja auch noch rausspringen: Am Donnerstag geht es im Finale des Westfalenpokals gegen die Sportfreunde Lotte, eine Rekordkulisse auf der Alm ist garantiert.