Frühjahrsgutachten
„Es dauert eine Weile, bis das Geld auf die Straße kommt“
Der Sachverständigenrat sieht wenig Licht für die deutsche Wirtschaft
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Die deutsche Wirtschaft tritt auf der Stelle. Auch der Sachverständigenrat verbreitet wenig Hoffnung. Immerhin sehen die meisten Wirtschaftsweisen im Fiskalpaket einen Hoffnungsschimmer – aber nur, wenn das Geld richtig eingesetzt wird
Dass es der deutschen Wirtschaft nicht gut geht, ist Konsens unter Ökonomen, Wirtschaftsvertretern und Politikern. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung macht da keine Ausnahme: Die sogenannten Wirtschaftsweisen gehen in ihrem Frühjahrsgutachten von einem Nullwachstum in diesem Jahr aus, wenn es so weiter läuft wie bisher – es also bei den Unsicherheiten bleibt, die US-Präsident Donald Trump durch seine erratische Zollpolitik in die Weltwirtschaft gebracht hat.
Auch die Aussichten für 2026 sind verhalten: Ein Plus von ein Prozent erwartet der Rat. Immerhin könnten sich dann aber erste Effekte der schuldenfinanzierten Sondervermögen für Infrastruktur und Verteidigung für die Gesamtwirtschaft zeigen. „Es dauert eine Weile, bis das Geld auf die Straße kommt“, sagte die Ratsvorsitzende Monika Schnitzer in der Pressekonferenz.
Und selbst dann ist nach Auffassung der Ökonomen nicht garantiert, dass die Gesamtwirtschaft auch von den vielen Milliarden profitiert. „Das Finanzpaket schafft die Grundlagen, um durchzustarten, wenn man es richtig macht“, sagte das Ratsmitglied Achim Truger. Es dürfe nicht passieren, dass das Geld in konsumtive Ausgaben fließe, beispielsweise zur Finanzierung der Mütterrente oder der Agrardieselsubventionen. Die Begehrlichkeiten sind in der Tat sehr groß und viele Wünsche haben mit den ursprünglichen Zielen der Sondervermögen wenig zu tun.
Verschiebebahnhof verhindern
Es sei daher unbedingt notwendig, investive Ausgaben zu priorisieren, sagte Schnitzer. Und es sei darauf zu achten, dass „die Mittel aus dem Finanzpaket für zusätzliche öffentliche Investitionen verwendet werden“. Einen Verschiebebahnhof dürfe es nicht geben: „Es sollte unbedingt verhindert werden, dass bereits geplante Investitionen aus dem Kernhaushalt verschoben werden können, denn wir brauchen dringend zusätzliches Investitionsvolumen“, sagte die Sachverständige Ulrike Malmendier. Die bislang getroffenen Vorkehrungen, um das zu verhindern, reichten nicht aus. Es bestehe weiter erheblicher Spielraum für „solche Querfinanzierungen“ von bis zu 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das entspreche bis zu 50 Mrd. Euro jährlich.
Die Ökonomen sehen hier die Bundesregierung am Zug. Für Verteidigungsausgaben ist ein Schwellenwert von einem Prozent des BIP vorgesehen, ab dem Ausgaben außerhalb der Schuldenbremse kreditfinanziert werden können. „Dieser Schwellenwert ist jedoch zu niedrig, da aus dem Kernhaushalt zuletzt deutlich mehr als ein Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben wurde“, heißt es im Gutachten. Eine Mindestquote für Verteidigungsausgaben von mindestens zwei Prozent des BIP im Kernhaushalt sollte demnach gesetzlich verankert werden.
Auch beim Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz sehen die Sachverständigen Optimierungsbedarf. In das sogenannte Errichtungsgesetz sollte ihrer Meinung nach eine Investitionsquote von mindestens zehn Prozent des Kernhaushalts aufgenommen werden. „Eine Festlegung der ‚angemessenen‘ Investitionsquote auf 10 Prozent des Bundeshaushalts ohne Sondervermögen und finanzielle Transaktionen kann zu einer deutlich geringeren Konsumorientierung öffentlicher Ausgaben führen als ohne eine entsprechende Quote – mit entsprechend größeren Wachstumseffekten.“
Rat bei der Frage der Vereinbarkeit mit EU-Fiskalregeln uneins
Damit über die Laufzeit der Sondervermögen hinaus die Priorität weiter auf den Investitionen liegt, schlägt der Rat einen Fonds für Verkehrsinfrastruktur und Mindestinvestitionsquoten für Bildung vor. Der Fonds soll den dauerhaften Erhalt der Verkehrsinfrastruktur sicherstellen und „mit eigenen Einnahmen ausgestattet werden, die aus dem Kernhaushalt übertragen würden“. Bei der Bildung schlagen die Ökonomen Mindestausgabenquoten auf Landesebene vor. Auch hier geht es darum, eine angemessene Finanzierung des Bildungssektors nach Auslaufen des Finanzpakets zu gewährleisten.
Offen bleibt die Frage, ob die Sondervermögen im Einklang mit den EU-Fiskalregeln stehen. Die Mehrheit der Ratsmitglieder hält das für möglich, wenn die Konzentration auf Investitionen gegeben sei und Strukturreformen in Angriff genommen werden. Doch auch die Ökonomen sprechen von einer hohen Unsicherheit. „Eine starke Konsumorientierung der Ausgaben gefährdet die Vereinbarkeit mit den EU-Fiskalregeln und erhöht die Schuldenstandsquote deutlich stärker.“
Eine abweichende Meinung vertritt in dieser Frage die Sachverständige Monika Grimm. „Beim Finanzpaket wird die europäische Dimension ausgeblendet“, sagte sie. Die sich aus den Grundgesetzänderungen ergebenden Verschuldungsspielräume gingen weit über das hinaus, „was mit dem derzeitigen fiskalischen Regelwerk der EU vereinbar ist“, schreibt sie in ihrer abweichenden Meinung.
Damit setzt sich der Streit zwischen Grimm und den anderen Ratsmitgliedern auf inhaltlicher Ebene fort. Insgesamt drei abweichende Meinungen zu unterschiedlichen Themen finden sich im Frühjahrsgutachten. Grimm steht auch dem Fiskalpaket skeptisch gegenüber. Sie gab ihre generelle Kritik an den Plänen im Gutachten zu Protokoll. „Mittelfristig nachhaltig ist das nur, wenn wir Strukturreformen angehen, die tatsächlich auch zu einer Erhöhung des Produktionspotentials in Deutschland führen“, sagte sie RTL/ntv. Das müsse sich die Regierung zur Aufgabe machen: „Sonst wird diese Verschuldung und das dadurch ausgelöste Wachstum ein Strohfeuer.“