Russlands Wirtschaft
„Es gibt keine Sanktions-Bazooka“
Wladimir Putin beim Treffen mit Vertretern der russischen Privatwirtschaft im Kreml. Das Land wird international mit Sanktionen belegt.
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Die Europäische Union will Wladimir Putin mit einer weiteren Runde von Sanktionen unter Druck setzen. Das funktioniert nur teilweise. Eine anderer Faktor ist für den Kreml deutlich bedrohlicher
Die Frage ist so alt wie das Instrument selbst. Wirken die Wirtschaftssanktionen der EU gegen Russland, sind sie geeignet, Einfluss auf das Krieg führende Regime Wladimir Putins zu nehmen? In dieser Woche verabschiedete die Europäische Union das inzwischen 17. Sanktionspaket – und allein die Zahl der Programme scheint darauf hinzudeuten, dass es nicht wirklich rund läuft mit dem Versuch, Putin wirtschaftlich unter Druck zu setzen.
Die neuen Sanktionen richten sich vor allem gegen die Schattenflotte der Tanker, mit denen russisches Öl auf die Weltmärkte gebracht und der EU-Preisdeckel dabei umgangen wird. Das Prinzip der Flotte: Eine Gruppe von mehreren Hundert Tankern operiert weder mit westlichen Versicherungen noch unter den Kontrollmechanismen westlicher Staaten und kann daher russisches Öl auch ohne Preisdeckelung an die Käufer bringen. Gegen eine ganze Reihe dieser Schiffe und deren Eigner werden nun Strafmaßnahmen verhängt. Es ist also eher der Versuch, die Regeln einer früheren Sanktionsrunde auch durchzusetzen als ein völlig neuer Ansatz.
Sanktionen erhöhen Kosten für die Wirtschaft
Aus Sicht von Alexandra Prokopenko ist das auch ein verständlicher Schritt, der in der Logik des Sanktionsregimes liegt. „Bei Sanktionen spielt die Durchsetzung eine wichtige Rolle“, sagt die frühere Beraterin der russischen Zentralbank, die heute für das Forschungsinstitut Carnegie Russia Eurasia Center in Berlin arbeitet. „Sie zu verabschieden ist immer nur der erste Schritt.“ Aus Sicht Prokopenkos haben die bisherigen Pakete durchaus eine Wirkung entfaltet. „Wenn wir Sanktionen als etwas betrachten, dass kontinuierlich die Transaktionskosten der russischen Volkswirtschaft erhöht, dann funktionieren sie. Da ist auch das neueste Sanktionspaket eine gute Ergänzung“, sagt sie.
Allerdings, so die Wirtschaftsexpertin, müsse sich die EU von der Hoffnung verabschieden, „mit Sanktionen Putin zu einer Verhaltensänderung zu bringen“. Dazu sei die russische Wirtschaft zu anpassungsfähig und zudem zu stark mit der Weltwirtschaft verflochten. „Es gibt keine Sanktions-Bazooka, die die Europäer noch in der Hand hätten“, sagt Prokopenko. „Sie existiert einfach nicht.“
Ölpreise unter Druck
Im Schatten der Sanktionen jedoch zieht ein anderes Szenario herauf, das auf Sicht für den Kreml deutlich bedrohlicher werden könnte. Die Zollkriege der US-Regierung unter Donald Trump bremsen den weltweiten Handel aus, was wiederum die Ölpreise unter Druck bringt. Im Vergleich zu der Lage vor einem Jahr ist der Preis für ein Barrel (159 Liter) Rohöl um etwa ein Viertel eingebrochen und liegt für Russland inzwischen unter der Marke von 60 Dollar. Die russische Wirtschaft und mit ihr der Staatshaushalt aber hängen in einem hohen Maß von den Einnahmen aus dem Ölgeschäft ab – sie finanzieren die Staatsausgaben, mit denen der Kreml seine Rüstungsindustrie füttert und soziale Wohltaten verteilt.
Hierin liegt für Russland eine Bedrohung – auch aus Sicht Prokopenkos: „Die Regierung wird die Ausgaben dann senken müssen“, sagt sie. „Die Frage ist, wie Russland einen echten Einbruch des Ölpreises verkraften würde. Im Moment sind die Staatsausgaben sehr hoch, nicht nur für das Militär, auch die Sozialausgaben.“
Russland kann die Löcher im Staatshaushalt mit Mitteln aus dem Nationalen Wohlstandsfonds stopfen, einem Topf der in guten Jahren gefüllt wurde und unter anderem als Schlechtwetterfonds konzipiert wurde. Der ist allerdings seit Beginn des Krieges um etwa 60 Prozent dezimiert worden. „Russland steht also vor einem möglichen Preisverfall mit weniger Reserven und hohen Staatsausgaben“, sagt Prokopenko. „Das ist neu.“
Droht Stagflation?
Hinzu kommt, dass auch die Aussichten für die russische Wirtschaftsentwicklung nicht mehr so gut sind wie noch in den vergangenen beiden Jahren. Nach einem Einbruch im ersten Kriegsjahr wuchs die Wirtschaftsleistung 2023 und 2024 noch um etwa vier Prozent, was vor allem auf die stark steigenden Ausgaben für die Rüstungsindustrie zurückging. Für das laufende Jahr aber wird allenfalls ein anämisches Wachstum erwartet. In Kombination mit der hohen Preissteigerungsrate von zehn Prozent droht damit das Schreckensszenario einer Stagflation – also Nullwachstum bei galoppierenden Preisen.
Es ist eine Gemengelage, die die Lage mittelfristig destabilisieren könnte. „Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. Wenn das so weitergeht, liegt darin ein Potenzial für soziale Spannungen“, sagt Prokopenko. Die Sanktionen spielen dabei nur am Rande eine Rolle.