Krankenkasse und Pflege
Nächste Kostenexplosion in der gesetzlichen Versicherung?
Gesetzliche Versicherte müssen mit einer Beitragserhöhung in der Krankenkasse und Pflegeversicherung rechnen
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Gesetzlich Versicherten droht der nächste Beitragsschock. Laut neuen Berichten geht es vielen Krankenkassen finanziell so schlecht, dass sie schnell mehr Geld brauchen. Auch die Pflegeversicherung ist in Geldnot
Die gesetzliche Krankenversicherung steuert auf das nächste Milliardenloch zu. Gesetzlich Versicherten drohen einem Bericht zufolge noch höhere Zusatzbeiträge. Wie das „Handelsblatt“ unter Berufung auf Angaben des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS) berichtete, lag zum Jahresende 2024 das Finanzvermögen von 45 der 58 überregionalen Krankenkassen unter der kritischen Marke von 20 Prozent einer Monatsausgabe. 22 dieser Kassen haben zudem „keine Rücklagen mehr“.
„Im Laufe des Jahres 2025 haben (…) bereits sechs der Aufsicht des BAS unterstehende Krankenkassen ihren Zusatzbeitragssatz angehoben und es zeichnet sich ab, dass in den nächsten Monaten weitere Krankenkassen folgen werden“, zitierte das „Handelsblatt“ das BAS. Erst zum Jahreswechsel hatten die Krankenkassen ihre Zusatzbeiträge angehoben, um wieder Vermögen aufzubauen. Der Zusatzbeitrag liegt im Schnitt bei 2,5 Prozent und kommt zu dem gesetzlich festgeschriebenen Beitragssatz von 14,6 Prozent hinzu, der für die Versicherungen nicht kostendeckend ist. Jede Kasse kann den Zusatzbeitrag selbst festlegen. Es bleibt laut BAS abzuwarten, wie sich die Finanzlage durch die neuen Anhebungen entwickeln werde.
Notfall-Gesetz für stabile Krankenkassenbeiträge gefordert
Erst kürzlich hatte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, wegen der schwierigen Finanzlage ein Ausgabenmoratorium gefordert. „Mit anderen Worten: Keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) müsse angesichts der Finanznot der Kassen umgehend Sofortmaßnahmen einleiten. „Ministerin Warken hat die GKV als ,Notfallpatienten‘ bezeichnet und damit hat sie völlig recht“, so Pfeiffer. Für die kurzfristige Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung und zum Schutz der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler brauche man noch vor der Sommerpause ein Vorschaltgesetz, in dem ein Ausgabenmoratorium für sämtliche Leistungsbereiche festgelegt werden müsse.
Zu der Finanznot in der Krankenversicherung kommt nun auch noch ein drohendes Milliardenloch in der gesetzlichen Pflegeversicherung. Nach neuen Berechnungen der Krankenkasse DAK-Gesundheit steuert die Pflegeversicherung auf ein Defizit von 1,65 Mrd. Euro dieses Jahr und 3,5 Mrd. Euro im Jahr 2026 zu. Ohne neue Finanzmittel sei spätestens zum Jahreswechsel 2026 eine Beitragserhöhung um mindestens 0,3 Beitragssatzpunkte unvermeidlich, sagte DAK-Vorstandschef Andreas Storm. Für ein Kassenmitglied mit einem Kind werden beispielsweise heute 3,6 Prozent des Bruttoeinkommens fällig.
Pflegeversicherung auch in Geldnot
Bereits im vergangenen Jahr war die Pflegeversicherung mit 1,54 Mrd. Euro ins Minus gesackt. Zur finanziellen Stabilisierung wurde die Pflegebeiträge zu Jahresbeginn um 0,2 Prozentpunkte angehoben. Dass Reformen notwendig sind, sieht nicht nur Kassenchef Storm so, sondern auch die Mehrheit der Deutschen: Laut einem neuen DAK-Pflegereport sehen fast 80 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger einen grundlegenden Reformbedarf in der Altenpflege.
Gesundheitsministerin Warken reagierte auf die Zahlen: Sie will die Pflegeversicherung mit einer Finanzspritze vor einem drohenden Milliardendefizit bewahren. Geredet werden müsse über einen Ausgleich des Bundes für Milliardenausgaben während der Corona-Pandemie, sagte die CDU-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Warken kündigte einen baldigen Start einer für grundsätzliche Reformen vorgesehenen Bund-Länder-Arbeitsgruppe an. „Aber sie braucht dann noch einige Monate Zeit, um Ergebnisse vorzulegen“, sagte die Nachfolgerin des ausgeschiedenen Ministers Karl Lauterbach (SPD). „Bis dahin sind kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflegefinanzen dringend nötig.“
Reform der Pflegeversicherung
Bereits Lauterbach hatte eine Pflegereform angekündigt, doch kam es dazu angesichts des vorzeitigen Scheiterns der Ampel nicht mehr. Warken verwies auf mehr als 5 Mrd. Euro, die der Bund den Pflegekassen für Ausgaben etwa für vor der Schließung bedrohte Einrichtungen während der Pandemie schulde. „Dafür braucht die Pflegeversicherung einen Ausgleich.“
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann warf der Regierung fehlenden Reformwillen und mangelnde Fantasie vor. „Die Pflege ist selbst zum Patienten geworden, der Handlungsbedarf dramatisch“, sagte Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur. „Dringend nötige Reformen dürfen nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden.“ Union und SPD lagerten die akut drängenden Fragen aber in Kommissionen aus. „Dabei hat die Regierung selbst eingeräumt, dass die Pflegeversicherung spätestens zu Anfang 2026 frisches Geld braucht, um zahlungsfähig zu bleiben.“ Die Pflege drohe auf der Intensivstation zu landen.
Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) forderte stabile Beiträge für Versicherte. „Die neue Bundesregierung muss dringend handeln, um weitere Beitragserhöhungen noch in diesem Jahr zu vermeiden“, sagte sie in München.
Wirtschaftsweise Grimm fordert Leistungskürzung
Der neue Pflegereport zeigt anhand weiterer Studienergebnisse auf, was auf die Pflegeversicherung zukommt: Von heute etwa 5,6 Millionen Menschen, die Leistungen aus der staatlichen Pflegeversicherung erhalten, dürfte sich die Zahl der Gepflegten in den nächsten beiden Jahrzehnten um über ein Fünftel erhöhen. 2055 – so offizielle Prognosen – sollen es zwischen 6,8 Millionen und 7,6 Millionen sein.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm plädiert angesichts der Finanzprobleme für Leistungskürzungen und eine höhere Selbstbeteiligung der Pflegepatienten. Die Beiträge zur Pflegeversicherung stiegen zu stark. „Das wird nicht durchhaltbar sein“, sagte sie „Bild“. Das bedeute, dass man die Ausgestaltung wahrscheinlich anpassen müsse: „also weniger Leistungen, die dann mit realistischen Beiträgen gezahlt werden müssen“.