Der Doktortitel ist längst kein Freifahrtschein mehr an die Spitze – kann aber den Unterschied machen, sagt Bernd Slaghuis. Auch finanziell lohnt sich die Promotion meist, allerdings nicht in jeder Branche
Die Promotion galt lange als sicherer Weg zu einer lukrativen Karriere. Doch zuletzt haben weniger Menschen den Doktortitel angestrebt und Ausbildungsberufe sind im Aufschwung. Hinzu kommen Warnungen, ein „Doktor“ im Namen wirke heutzutage elitär und könne die berufliche Laufbahn sogar behindern. Lohnt sich eine Promotion 2025 also überhaupt noch? Zwei Experten sagen: Ja, unbedingt – aber mit Einschränkung.
Beim Blick in den neuen Kununu-Gehaltsreport scheint die Sache klar zu sein. Promovierte Fachkräfte verdienten demnach 2024 durchschnittlich 88.227 Euro brutto pro Jahr. Weit abgeschlagen folgten Berufstätige mit Master (64.465 Euro) und Bachelor (54.627 Euro).
So lukrativ ist die Promotion
Dabei ist zwar zu beachten, dass die Jobplattform sehr viel weniger Gehaltsdaten zum Doktortitel auszuwerten hatte (für den Bericht wurden den Angaben zufolge über 830.000 Gehälter zwischen Januar und Dezember 2024 analysiert). Trotzdem zahle sich tendenziell eine Promotion aus, sagt Kununu.
Den größten finanziellen Vorteil durch einen Doktortitel ergab der Gehaltsreport in diesen Branchen:
- Banken (Durchschnittsgehalt mit Doktortitel: 103.932 Euro; Durchschnittsgehalt mit Uni-Diplom: 88.372 Euro)
- Recht (Durchschnittsgehalt mit Doktortitel: 108.853 Euro; Durchschnittsgehalt mit Master: 70.242 Euro)
- Steuerberatung/Wirtschaftsprüfung (Durchschnittsgehalt mit Doktortitel: 104.575 Euro; Durchschnittsgehalt mit Uni-Diplom: 85.589 Euro)
- Gesundheit/Soziales/Pflege (Durchschnittsgehalt mit Ph.D.: 100.194 Euro; Durchschnittsgehalt mit Doktortitel: 97.003 Euro; Durchschnittsgehalt mit Uni-Diplom: 64.184 Euro)
Allerdings verdienen promovierte Mitarbeiter laut Wilding in einigen Branchen sogar weniger als Kollegen mit Hochschuldiplom. Dazu gehören ihmzufolge Beratung, Telekommunikation und Landwirtschaft. Ein Nachteil könne die Promotion sein, wenn die akademische Expertise auf einen leitenden Posten in einem Unternehmen führe, es dort aber weniger auf Fachwissen, sondern auf Führungsqualitäten ankomme, sagt der Jobexperte. Daran könnten „themengetriebene“ Wissenschaftler mitunter scheitern.
Auch Karrierecoach Bernd Slaghuis, selbst promoviert, sieht eine Veränderung im Stellenwert des Doktortitels. „Früher galt die Promotion vor allem in klassischen Konzernkarrieren als Türöffner, besonders für Führungspositionen im Top-Management, in der Unternehmensberatung oder im öffentlichen Dienst“, sagt er. Heute sei der Doktortitel für viele Karrieren nicht mehr notwendig. Da werde eher auf berufliche Praxis, Führungserfahrung, Persönlichkeit und digitale Kompetenzen geschaut.
Dass ein Doktortitel sogar kontraproduktiv sein, diesen Eindruck bestätigt Slaghuis insbesondere für eher pragmatisch geprägte Start-ups oder Branchen wie die Kreativwirtschaft. Dort könne ein Titel Distanz erzeugen oder als abgehoben wahrgenommen werden. Slaghuis über sich selbst: „Vermutlich gibt es auch potenzielle Kunden, die der Titel abschreckt, mich zu kontaktieren.“
Argumente für eine Promotion
Trotzdem bricht der Karrierecoach eine Lanze für die Promotion. Denn sie werde weiterhin als Signal für Ausdauer, analytisches Denken und fachliche Tiefe geschätzt, speziell auf anspruchsvollen Positionen. „Der Doktortitel ist kein Freifahrtschein, doch im direkten Vergleich kann er das Zünglein an der Waage sein“, meint der promovierte Wirtschaftswissenschaftler.
Dass Promovierende zuletzt laut Statistischem Bundesamt im Schnitt 30,4 Jahre alt waren, sollte laut Slaghuis kein Argument gegen die längere Zeit an der Hochschule sein. Die Promotion sei keine Karrierepause, sondern oft der erste hochqualifizierte Job auf einer anspruchsvollen, wissenschaftlichen Position. „Die Zeit am Lehrstuhl ging weit über das Schreiben der Dissertation hinaus und diese Erfahrungen sind es vor allem, die ich rückblickend als extrem wertvoll ansehe“, sagt er über seine eigenen Erfahrungen. Doktoranden würden Lehrveranstaltungen halten, Projekte managen, Drittmittel akquirieren, Mitarbeiter führen, publizieren und lernen, sich zu vernetzen.
Es gebe aber auch persönliche Opfer, die man bringen muss, sagt Slaghuis. Die Promotion habe ihm nicht nur viele schlaflose Nächte bereitet, sondern auch eine langjährige Partnerschaft gekostet. Nach drei Jahren habe er kurz vor dem Abbruch gestanden. Am Ende erwies sich der Doktortitel aber als Katapult für Slaghuis‘ außerakademische Karriere. Sein erster Chef habe gezielt einen promovierten Kandidaten gesucht und so sei er zu seinem ersten Job in der Wirtschaft gekommen, berichtet der Coach.
Sofern die Promotion für den angestrebten Beruf keine Voraussetzung oder zumindest ein wichtiger Faktor ist (etwa in Forschung, Medizin oder Lehre), rät Arbeitsmarktexperte Wilding allerdings dazu, sich die Entscheidung für weitere drei bis fünf Jahre an der Hochschule gut zu überlegen, um nicht ins Hintertreffen zu geraten. „Insbesondere in der freien Wirtschaft sind praktische Erfahrungen und der Zugang zu starken, belastbaren Netzwerken sowie Umsetzungsstärke meist wichtiger als akademische Titel“, sagt er – insbesondere mit Blick auf die aktuellen Krisen.
Doktortitel oder Berufserfahrung
„Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten kann es sinnvoll sein, zunächst Berufserfahrung zu sammeln, um die eigenen Stärken im Praxisumfeld besser einschätzen zu können“, rät Wilding daher. Eine Promotion lasse sich häufig später nachholen, wenn sie als strategisch wirklich sinnvoll erweise. Wer Jahre später promoviert, kann laut Slaghuis tatsächlich oft zielgenauer forschen. Dafür sei ein späterer Doktortitel aber organisatorisch und zeitlich deutlich anspruchsvoller.
Die Entscheidung für oder gegen eine Promotion sollte nach Ansicht des Karrierecoaches weniger von der aktuellen Konjunkturlage abhängen. Betroffene stünden vor diesen drei Fragen:
- Habe ich wirklich ein echtes Interesse an wissenschaftlichem Arbeiten – also an Tiefe, Komplexität, Methodik und langem, eigenständigem Denken?
- Gibt es ein Thema, das mich wirklich fesselt und trägt – über Jahre, auch durch Frustphasen?
- Passt die Promotion zu meiner persönlichen Lebensplanung sowie zu meinen beruflichen Zielen oder würde sie nur zeitlich verschieben, was ich eigentlich schon jetzt anstrebe?
Beim Für oder Wider ist es für Slaghuis auch entscheidend, wie man mit dem Doktortitel umgeht. Er nenne ihn auf seiner Internetseite, widerspricht aber dem Eindruck, den Doktortitel prominent zu platzieren. „Er ist rechtlich Teil meines Namens. Aber natürlich bin ich auch stolz darauf und sehe keinen Grund, ihn zu vertuschen“, sagt Slaghuis. „Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht als ,Herr Doktor‘ angesprochen werden möchte und mit vielen meiner Klienten bin ich auch schnell per Du.“