Die Fitness-Branche boomt, doch die Zahl fettleibiger Kinder ist hoch wie nie: 2024 wurde ein Höchststand übergewichtiger Mädchen und Jungen erreicht. Eine Studie aus Baden-Württemberg liefert Einblicke – und zeigt einen Ausweg.
Immer mehr Kinder in Baden-Württemberg bringen zu viele Kilos auf die Waage. Das geht aus dem Fitnessbarometer 2025 der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg für Jungen und Mädchen im Alter zwischen drei und zehn Jahren hervor. Demnach sind Kinder zwar etwas kräftiger und schneller geworden, aber die Zahl der Übergewichtigen ist auf einen Rekordwert gestiegen.
Laut Studienautor Professor Klaus Bös vom Karlsruher Institut für Technologie hat sich die motorische Leistungsfähigkeit nach dem pandemiebedingten Einbruch zwar leicht erholt. Vor allem bei Kraft und Koordination geht es bergauf – teils ist es sogar besser als vor der Pandemie. Er mahnt aber auch: „Für Schnelligkeit und Beweglichkeit und insbesondere für die Ausdauer werden die Ergebnisse aus den Jahren 2012 bis 2019 bei Weitem noch nicht erreicht.“
Bös erstellt gemeinsam mit der Stiftung und einem Forscherteam jährlich das Fitnessbarometer. Zwar seien die Kinder im Südwesten immer noch fitter als der bundesweite Durchschnitt, auch sei der Absturz vergangener Jahre gebremst worden, teilte der Karlsruher Professor für Bewegungsforschung mit. Nach wie vor aber lägen die Werte in der Summe unter dem Niveau der Zeit vor der Pandemie.
Rekordwert erreicht
Besonders besorgniserregend ist für die Studienautoren die zunehmende Fettleibigkeit, für die sie vor allem den Computer und die fehlende Bewegung verantwortlich machen. Laut Erhebung steigt die Zahl übergewichtiger Jungen und Mädchen weiter drastisch. „Im Jahr 2024 wurde nun ein neuer Höchststand erreicht“, mahnte Bös.
Von den getesteten Kindern seien 15 Prozent übergewichtig und 6,5 Prozent sogar adipös oder krankhaft fettleibig. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder den Angaben zufolge um insgesamt 2,8 Prozent, derzeit ist er um 2,3 Prozent höher als vor der Corona-Pandemie.
„Die Hoffnung, dass der Rückgang des Übergewichts im Jahr 2023 einen nachhaltigen positiven Trend einleitet, hat sich leider nicht erfüllt“, heißt es dazu in der Studie.
Auffällig ist auch weiterhin der aus Sicht des Ludwigsburger Kinder- und Jugendarztes Thomas Kauth „alarmierende Gewichtssprung“ beim Wechsel von der Kita in die Grundschule. Ab dem Alter von etwa sechs Jahren steigt der Anteil übergewichtiger Kinder laut Studie deutlich an. „Mehr als jedes sechste Kind zwischen acht und zehn Jahren ist übergewichtig“, bilanziert die Studie. Diese Zunahme flacht zwar ab dem achten Lebensjahr etwas ab, das Niveau bleibt aber besorgniserregend hoch.
„Es ist jedes Jahr das Gleiche – das Übergewicht und die Adipositas steigen immer weiter“, sagte Kauth. Schuld ist aus seiner Sicht der Mangel an Bewegung in der Grundschule: „Unsere Kinder sitzen sich in der Grundschule krank.“ Kauth rät zu einer täglichen Stunde Bewegung.
Auswirkungen auch im Erwachsenenalter
Aber auch die Eltern, Vereine und Kommunen sind gefragt. „Nur gemeinsam können wir den Alltag von Kindern bewegungsfördernder gestalten“, sagt Susanne Weimann von der Kinderturnstiftung. Die Angebote seien da – sie müssten nur noch die Kinder erreichen, die sie am meisten brauchen.
Über die sogenannte Turnbeutelbande, eine Initiative der Kinderturnstiftung Baden-Württemberg, wird seit 13 Jahren ein Motorik-Test für Kinder angeboten. Untersucht wird, wie die Kinder bei verschiedenen motorischen Tests abschneiden. Betrachtet wird etwa, wie schnell sie einen 20-Meter-Lauf absolvieren, wie ausdauernd sie einen Sechs-Minuten-Lauf durchhalten oder ob sie rückwärts balancieren und Liegestütze machen können. An den Motorik-Tests nahmen im Jahr 2024 insgesamt 7.584 Kinder zwischen drei und zehn Jahren in Kitas, Grundschulen und Sportvereinen teil.
Übergewicht ist ein so großes Problem, weil die Folgen gravierend sind – körperlich wie seelisch. „Übergewichtige Kinder werden krank – wir müssen endlich wirksam dagegen vorgehen“, sagt Kinderarzt Kauth. Schon jetzt zeigten viele betroffene Kinder erste Anzeichen von Stoffwechselerkrankungen, Gelenkproblemen oder Bluthochdruck. Und: Übergewicht im Kindesalter erhöhten das Risiko, auch als Erwachsene gesundheitlich stark belastet zu sein.
Doch warum sind gerade Kinder so stark betroffen? Kinder sind in einer entscheidenden Entwicklungsphase – körperlich, seelisch und auch sozial. Ihr Lebensstil wird stark von ihrer Umgebung geprägt: Fehlt die Bewegung im Alltag, ist ungesundes Essen leicht zu haben und überwiegt die Zeit vor Computer, Handy oder Fernseher, steigen die Kilos schnell.
Kleiner Aufwand, große Wirkung
Hinzu kommt: Kinder haben oft weniger Kontrolle über ihren Tagesablauf als Erwachsene. Sie essen, was auf den Tisch kommt – und bewegen sich nur, wenn es ihnen ermöglicht oder vorgelebt wird. Legen Eltern, Schule oder Kita wenig Wert auf gesunde Ernährung und Bewegung, verfestigen sich ungesunde Muster wie zum Beispiel süße Getränke. Und das kann aus Sicht von Bös schwerwiegende Folgen haben.
Aus seiner Sicht geht es vor allem darum, Kinder für den Sport zu motivieren. Ein guter Einstieg könne das Kinderturnen sein und anschließend die Mitgliedschaft im Sportverein. Vereine oder Fitnessstudios hätten später ebenfalls eine wichtige Funktion, sagt er. Sich mit anderen zu verabreden, gilt als ein guter Trick, um die eigenen guten Vorsätze tatsächlich auch umzusetzen.
Denn Bewegung stärkt nicht nur Muskeln und Ausdauer, sie hilft auch, das Körpergewicht zu regulieren. Wer sich regelmäßig bewegt, verbrennt mehr Kalorien und entwickelt ein besseres Körpergefühl. Zudem verbessert Sport das Sozialverhalten und das Selbstbewusstsein von Kindern. Schon 60 Minuten Bewegung pro Tag – das kann Toben, Rennen oder Radfahren sein – machen laut Studien einen großen Unterschied.
dpa/pk