Nein, kein Gelaber jetzt, kein Abklatschen, nicht einmal ein Kopfnicken. Leon Draisaitl marschiert an einem vorbei, als wäre er noch auf dem Eis und müsste jetzt mal schnell an einem Verteidiger vorbei, weil er da drüben eine Torchance kreieren muss. Da drüben ist aber nur die Kabine der Edmonton Oilers in der Arena von Los Angeles, und dort muss nun, wie immer nach Siegen, „La Bamba“ gespielt werden – aber an diesem Abend auch nur handgestoppte sieben Sekunden.
Danach kommt Connor McDavid sofort zurück auf den Gang und setzt sich aufs Ergometer zum Abkühlen. Draisaitl duscht ganz schnell, dann gesellt er sich zu McDavid, radelt aber nicht, er trägt Straßenklamotten und Mütze. Die beiden reden, gestikulieren; es geht also schon wieder ums Sportliche. Weiter, immer weiter.

:Jetzt verteidigt er auch noch
Welch eine Wendung für die Edmonton Oilers in den Stanley-Cup-Playoffs: Mit 4:1 besiegen sie die favorisierten Vegas Golden Knights und stehen im Semifinale. Der Deutsche Leon Draisaitl entwickelt wieder einmal völlig neue Qualitäten.
Mit dem entscheidenden 1:0 nach Verlängerung bei den Vegas Golden Knights und dem Einzug ins Halbfinale der nordamerikanischen Eishockeyliga (NHL) hielten die Edmonton Oilers sich nicht lange auf, wie jemand, der im zweiten Stockwerk angekommen ist, aber in die oberste Etage will. Nur eine kurze Botschaft ans Volk: „Wir können verteidigen, das haben wir immer wieder gezeigt. Und jetzt kommen wir in diese Halle und gewinnen 1:0, wenn es darauf ankommt“, sagte McDavid angesichts der Tatsache, dass sein mitunter als wackelig geltender Torwart Stuart Skinner zum zweiten Mal nacheinander zu null gespielt hatte: „Hoffentlich lässt das die Leute, die über ihn geredet haben, verstummen. Was auch immer nötig ist: Wir gewinnen Spiele.“
Müsste man die Stimmung in der Oilers-Umkleide für die deutschen Sportfans beschreiben: Oli Kahn im Tunnel.
Wer dieses Team in den vergangenen Jahren durch die NHL-Playoffs begleitet hat, der weiß, dass dies noch nie so gewesen ist. Die Oilers waren fröhlich, trotzig, angefressen, erleichtert, optimistisch. Jetzt sind sie wie einer, der im Treppenhaus nach oben stapft und sowohl Ausrutscher (zwei Pleiten zu Playoff-Beginn) als auch Zwei-Stufen-Hüpfer (zwei Siege in Verlängerung, jeweils durch Treffer von Draisaitl) und scheinbar lockere Zwischenschritte (3:0 gegen Vegas in eigener Halle) mit einem Weiter-immer-weiter-Gesicht hinnimmt. Sie haben tatsächlich schon alles erlebt in den letzten vier Spielzeiten: Aus in der ersten Runde (2021), im Viertelfinale (2023) und Halbfinale (2022) – und natürlich die 1:2-Niederlage im entscheidenden siebten Spiel der Finalserie 2024, nachdem sie gegen Florida einen 0:3-Rückstand aufgeholt hatten. Jetzt soll es endlich klappen.

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Gegner in der Serie von Mittwoch an sind die Dallas Stars. Die haben zum dritten Mal nacheinander das Halbfinale erreicht und wollen in die Finalserie, endlich. „Weiter, immer weiter“ trifft auf „Weiter, immer weiter“ – und genauso dürften diese bis zu sieben Spiele bis spätestens 2. Juni verlaufen. „Es wird ein Kampf des Willens“, sagt Dallas-Trainer Pete DeBoer: „Zwei hungrige Teams, die jeweils ganz nah dran gewesen sind, das große Ziel aber nicht erreicht haben.“ Bittere Niederlagen und herbe Enttäuschungen können ungeahnte Kräfte freisetzen und Sportler zu Superhelden werden lassen bei späteren Triumphen – siehe Kahn im Champions-League-Finale 2001 nach dem Schock zwei Jahre davor. Es begegnen sich also zwei Teams, aus denen Rückschläge der Vergangenheit gegenwärtige Superhelden gemacht haben. Und wer in seinem Leben je einen Superhelden-Film gesehen hat, der weiß: Es werden die Fetzen fliegen bei diesem Spektakel; es wird knallen und krachen, bestes Entertainment.
„Die haben acht Leute, die in der regulären Saison je mindestens 20 Tore geschossen haben“, sagt McDavid über die Tiefe des gegnerischen Kaders; und natürlich gibt es noch den Ausreißer nach oben in den Playoffs: Mikko Rantanen hat bislang in 13 Partien neun Treffer und zehn Vorlagen geschafft; 19 Scorerpunkte sind Liga-Bestwert. Zudem kehrte Verteidiger Miro Heiskanen nach 42 verpassten Spielen (Knie) zu Spiel vier der Viertelfinalserie zurück und zeigte seitdem, dass er im Vollbesitz seiner Kräfte ist – das bedeutet: nur so angeschlagen wie alle, kein NHL-Profi ist derzeit ohne Schmerzen. „Die können bis zum letzten Mann verteidigen und Tore schießen“, sagt McDavid.
Das können die Oilers ebenfalls, wie sie in den Playoffs gezeigt haben. Gewiss, in der Topscorer-Liste folgen auf Rantanen McDavid (17) und Draisaitl (16) – es stehen da aber auch 16 Torschützen aus elf Partien; bei Dallas sind nur zwölf vermerkt. Die Oilers haben das, was man genau jetzt braucht: einen Torwart, der nach zwei Shut-outs nacheinander Selbstbewusstsein und nicht Selbstzweifel ausstrahlt. Eine Defensive in Topform und mit der Gewissheit, dass selbst Bekanntheiten wie Draisaitl hinten glänzen wollen – und natürlich treffsichere Angreifer. Die vollständige Botschaft von McDavid: „Wir verteidigen, wir verhindern Tore, wir halten auswärts ein 0:0. Und dann schießen wir ein Tor.“
Es dürfte eine harte, intensive Serie werden; ein Fest für alle, die Eishockey als Sport der Schmerzen interpretieren und nicht das talentierteste Team gewinnen sehen wollen, sondern jenes, das den Siegtreffer notfalls mit Willenskraft über die Linie drückt. Und nach der ersten Partie (in der Nacht zu Donnerstag) werden alle Oilers-Spieler wieder zielstrebig vom Eis zur Kabine laufen. Ob sie gewonnen haben, wird man nicht in ihren Gesichtern lesen, sondern nur daran hören können, ob in der Umkleide ein paar Sekunden lang „La Bamba“ gespielt wird.