Die Zahl der politisch motivierten Straftaten in Deutschland ist im vergangenen Jahr auf einen nie dagewesenen Höchstwert angestiegen: Mehr als 84.000 Straftaten wurden 2024 polizeilich erfasst – so viele wie in keinem anderen Jahr seit der Einführung der bundesweiten Statistik im Jahr 2001. Das entspricht einem Anstieg um mehr als 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Diese Gesamtsteigerung sei „getrieben durch Polarisierung unserer Gesellschaft, durch andere Phänomene, wie die deutliche Steigerung im Antisemitismus“, sagte Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Dienstag (20. Mai) bei der Vorstellung der Zahlen in Berlin. Das Bundeskriminalamt (BKA) macht als weitere Gründe für den drastischen Zuwachs der Zahlen im vergangenen Jahr die vielen Wahlen – mit der Europawahl, drei Landtagswahlen und neun Kommunalwahlen – sowie den anhaltenden, emotional aufgeladenen Konflikt in Nahost aus.
Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten ist 2024 um mehr als 15 Prozent im Vergleich zu 2023 gestiegen, auf dann 4.107 Taten. Der größte Anteil davon sind Körperverletzungen mit 2.628 Delikten. Die Polizei erfasste im vergangenen Jahr zudem elf versuchte und drei vollende Tötungsdelikte mit politischem Motiv.
Unter den Phänomenbereichen stechen die von rechts motivierten Taten besonders hervor: Sie bilden mit knapp 42.800 den größten Anteil aller erfassten Straftaten und sind mit fast 48 Prozent überdurchschnittlich stark im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Die rechts motivierten Gewalttaten haben um 17 Prozent zugenommen – das belege „eine hohe und leider auch zunehmende Gewaltbereitschaft“, sagte BKA-Präsident Holger Münch.
In der Gesamtstatistik folgen knapp 22.200 Delikte aus dem Bereich der sonstigen Zuordnungen (plus 33 Prozent). Laut Münch macht ein Drittel davon Taten im Zusammenhang mit den Wahlen aus. An dritter Stelle folgen knapp 10.000 links motivierte Straftaten im vergangenen Jahr (plus 28 Prozent), wobei die links motivierten Gewalttaten um knapp 17 Prozent gegenüber 2023 gesunken sind.
Auch die Hasskriminalität hat mit 28 Prozent stark zugenommen, auf insgesamt mehr als 21.700 Fälle im vergangenen Jahr. Den größten Teil machen fremdenfeindliche (knapp 19.500) und ausländerfeindliche Delikte (mehr als 9.300) aus, gefolgt von mehr als 6.200 antisemitischen Straftaten (plus 20 Prozent gegenüber 2023). Dabei sind die meisten antisemitischen Delikte dem rechten politischen Spektrum zuzuordnen, wobei es hier einen starken Anstieg im Bereich der ausländischen und religiösen Ideologie gibt. „Egal, wo der Antisemitismus herkommt, er ist unter keinen Umständen zu akzeptieren“, betonte Dobrindt. Man werde „sehr konsequent“ gegen dieses Phänomen vorgehen.
Der Innenminister will dabei eine Doppelstrategie verfolgen. „Mehr Kompetenzen für die Polizei und mehr Konsequenzen für die Straftäter.“ Er nannte beispielsweise die IP-Adressenspeicherung oder Videoüberwachung bei Kriminalitätsschwerpunkten. Dobrindt forderte zudem, die Mindeststrafe bei Angriffen auf Vollstreckungsbeamte von bisher drei auf sechs Monate anzuheben. Werden antisemitische Straftaten von Ausländern begangen und haben sie eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr zur Folge, will Dobrindt sogenannte Regelausweisungen durchsetzen. Messerangriffe sollen nach seinem Willen grundsätzlich als Verbrechen bestraft und mit einer höheren Mindeststrafe von einem Jahr geahndet werden.
Dobrindt schloss sich auch einem zentralen Satz seiner Vorgänger, Horst Seehofer (CSU) und Nancy Faeser (SPD), an: „Die größte Gefährdung für die Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus. Das ist objektiv so“, sagte der neue Innenminister. Man werde den Kampf gegen den Rechtsextremismus und von rechts motivierte Straftaten weiter fortsetzen.
Deutlich zurückhaltender äußerte sich der CSU-Politiker bei der Frage, welchen Anteil die AfD an der zunehmenden Polarisierung und Legitimierung von Gewalt in der Gesellschaft habe. Die Polarisierung trage zur deutlichen Steigerung bei der politisch motivierten Kriminalität bei – „und deswegen sind natürlich alle die, die bei dieser Polarisierung eine Rolle spielen, auch ein Teilelement der Entwicklung“, sagte Dobrindt. Auf Nachfrage erklärte er: Seine Zurückhaltung in der Sprache „sollte Sie nicht an meiner Entschlossenheit zweifeln lassen, den Kampf gegen die Polarisierung unserer Gesellschaft aufzunehmen“.
Einem Verbotsverfahren gegen die AfD erteilte Dobrindt erneut eine Absage. Die Aufgabe sei es, dafür zu sorgen, dass Parteien an den Rändern kleiner würden, „indem man sie versucht, mit guter Politik weg zu regieren und nicht versucht, sie juristisch zu verbieten“, so Dobrindt. „Der Erfolg des Wegregierens wird der größere sein.“