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In der Automobilindustrie sind Zehntausende Arbeitsplätze gefährdet. Selbst der hochqualifizierte, von den Konzernen selbst ausgebildete Nachwuchs findet kaum noch Jobs. Experten empfehlen, auf andere Branchen zu setzen.
„Keiner weiß so richtig, wie es weitergeht“, sagt Benni Stauder über sich und seine Kommilitonen. Er ist dualer Student bei Bosch, hat sich den Studiengang „IT-Automotive“ ausgesucht: im festen Glauben, dass er nach dem dualen Studium übernommen wird. Stattdessen bekam er vor ein paar Tagen die endgültige Absage von Bosch, trotz Einser-Schnitts.
Am Ende hat ihn das nicht mehr überrascht: Die Ausbilder hatten Benni und seinen Mitstudierenden schon lange gesagt, dass ihre Übernahmechancen angesichts der wirtschaftlichen Lage schlecht seien. Deshalb hat Benni schon Dutzende Bewerbungen an andere Unternehmen geschickt – bislang ohne Erfolg.
„Aus der Automobilindustrie kommen nur Absagen“
Die ungewissen Zukunftsaussichten treffen auch seine Kommilitonen, egal ob Maschinenbauer, Elektrotechniker oder eben Informatiker wie ihn: „Jeder sucht gerade einen Job, und aus der Automobilindustrie kommen nur Absagen“, erzählt Benni: Das sei „demotivierend“.
Dabei sind Benni und seine Mitstudierenden eigentlich hochmotiviert. Neben dem Vollzeitjob, den ein duales Studium bedeutet, schrauben sie fast jeden Tag nach Feierabend noch an einem E-Rennwagen: ein Studentenprojekt der Hochschule, vor allem aber ein Herzensprojekt für die motorsportbegeisterten Jungs. Von klein auf sei es sein Ziel gewesen, mal in der Autobranche zu arbeiten, erzählt Benni: „So wie andere Astronaut werden wollen.“
Das Autoland steckt in der Krise
Und anders als in der Raumfahrt war der Bedarf an hochqualifizierten Mitarbeitern für die Automobilbranche in Baden-Württemberg immer hoch: Mercedes-Benz und Porsche haben in Stuttgart ihren Hauptsitz, Audi einen wichtigen Produktions- und Entwicklungsstandort in Neckarsulm. Dazu kommen die Zulieferer: große wie Mahle, ZF oder eben Bosch, und dazu noch zahlreiche mittelständische – all die „Hidden Champions“, heimliche Weltmarktführer aus der baden-württembergischen Provinz. Sie alle trifft die gegenwärtige Krise.
„Wir stehen vor einem fundamentalen Strukturwandel, dem größten in der Geschichte der Bundesrepublik“, sagt die Technologie- und Innovationsforscherin Katharina Hölzle. Gerade in der deutschen Automobilbranche hätte eigentlich schon längst allen klar sein müssen, dass es mit dem scheinbar ewigen Wachstum nicht mehr lange weitergehe, ein Wandel dringend nötig sei: „Die Zeichen waren da, die Experten haben es alle gesagt“, so Hölzle. Aber weil es dann eben doch noch eine Weile so weitergegangen sei wie früher, habe niemand den Mut gehabt, „wirklich radikal zu sagen, dass die Branche sich ändern muss“.
Höhere Produktionskosten, weniger Exporte
Das habe erst die akute Krise jetzt klargemacht. Hölzle spricht sogar von einer „multiplen Krise“ und zählt auf: Der Großangriff auf die Ukraine hat zum einen dazu geführt, dass Deutschland keine billige Energie mehr aus Russland beziehen kann. Zum anderen habe er auch das Zeitalter der „Friedensdividende“ beendet. Heißt: Deutschland muss Geld in die Verteidigung investieren, das unter anderem in der Wirtschaft fehlt. Gleichzeitig ist der Export nach China eingebrochen, seit die Chinesen vermehrt ihre eigenen Autos produzieren und kaufen; dazu droht wegen der Zölle von Präsident Donald Trump auch der Export in die USA einzubrechen.
Hölzle leitet das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart und das Institut für Arbeitswissenschaft der Universität Stuttgart. Was diese Krise bedeute, sieht sie auch bei ihren Studierenden: „Die studieren Ingenieurwissenschaften, und dann heißt es: ‚Du bist noch nicht qualifiziert genug‘.“
Dabei hätten sie im Grunde alles richtig gemacht, schließlich gebe es in diesem Bereich eigentlich einen Fachkräftemangel. Doch im Angesicht der Krise sähen die Unternehmen vor allem „diesen Batzen an Personalkosten“, so Hölzle: „Gerade in der Automobilindustrie ist das Problem, dass zu hohe Gehälter gezahlt wurden.“
Zehntausende Stellen fallen weg
Nun sollen Zehntausende Stellen wegfallen. „Allein der Wechsel in die Elektromobilität bedroht in Baden-Württemberg in den nächsten zwei bis drei Jahren wahrscheinlich 30.000 Arbeitsplätze“, sagt Oliver Barta, Hauptgeschäftsführer bei Südwestmetall, dem Unternehmerverband der Metall- und Elektroindustrie. Und das sei möglicherweise nur der Anfang: „Verschlechtern sich die Standortbedingungen weiter, werden wir von weit höheren Zahlen ausgehen müssen.“
Hinter vorgehaltener Hand nennen Branchenvertreter angesichts der Krise Zahlen, die mehr als doppelt so hoch sind als die allein durch die Transformation bedrohten 30.000 Arbeitsplätze, die Südwestmetall anführt.
Der Stellenabbau soll möglichst „sozialverträglich“ geschehen. Soll heißen: keine betriebsbedingten Kündigungen – aber eben auch kaum Neueinstellungen. Und das in einer Zeit, in der die Branche die Innovationskraft durch frisch ausgebildete, hochmotivierte Arbeitskräfte wie Benni Stauder eigentlich dringend nötig hätte.
Weniger Geld für die Großen, mehr für die Innovativen
Innovationsforscherin Hölzle kritisiert, dass die Politik die großen Unternehmen der Automobilbranche zu lange subventioniert habe: „Davon müssen wir wegkommen“, sagt sie: „Wenn Mercedes-Benz und andere jetzt -Zigtausende Stellen abbauen, gehen die Beschäftigten in Frühverrentung. Das geht zulasten der Sozialkassen.“ Wenn man schon Steuergelder bereitstelle, dann besser „für Start-ups oder kleinere und mittelständische Zulieferer, die verstanden haben, dass man jetzt etwas ändern muss“.
Die Zeiten des Wachstums in der Automobilbranche seien vorbei: „Jetzt vonseiten der Politik zu versuchen, mit allen Mitteln den Status quo aufrechtzuerhalten, wird nicht funktionieren“, so Hölzle. Stattdessen sollten alle den Blick weiten und verstärkt andere Branchen in den Blick nehmen.
Kompetenzen werden anderswo gebraucht
Das gelte auch für die Mitarbeiter selbst: „Die Beschäftigten aus der Automobilindustrie bringen wahnsinnig viele Fähigkeiten und Kompetenzen mit, die wir in Zukunft brauchen“, sagt Hölzle und nennt etwa den Klimawandel. Für eine nachhaltige Energieerzeugung brauche es innovative Technologien: „Und dafür brauchen wir diese schlauen Köpfe mit ihren Kompetenzen im Maschinenbau, in der Elektrotechnik und der Digitalisierung.“
Weitere Beispiele, die Hölzle nennt: Medizintechnik – in Baden-Württemberg eine Wachstumsbranche – und Rüstung. Denn so bedrückend die Notwendigkeit zur Aufrüstung wegen der Bedrohung durch Russland sei: Es böten sich dadurch auch neue Jobmöglichkeiten.
Ganz grundsätzlich sieht die Innovationsforscherin Hölzle in der Krise eine Chance: „Innovationen passieren immer dann, wenn nichts anderes mehr geht“, sagt sie: „Genau das ist meine große Hoffnung.“ Auch wenn es für Benni Stauder und seine Kommilitonen bedeuten könnte, dass es mit dem einstigen Traumjob in der Automobilindustrie nichts wird – und sie sich in anderen Bereichen umschauen müssen.