interview
Auch nach dem Telefonat mit Trump vermittelt Putin nicht den Eindruck, sich bewegen zu wollen, sagt der Ex-Botschafter Rüdiger von Fritsch. Putin durchschaue Trumps eigentliches, wirtschaftliches Interesse. Doch Putin könne gestoppt werden.
tagesthemen: Was ist aus Ihrer Sicht das Ergebnis dieses Gesprächs? Gibt es überhaupt eins?
Rüdiger von Fritsch: Nach allem, was wir bisher wissen, können wir nicht sehen, dass Russland sich irgendwie bewegt hat. Und dass es, und das scheint mir noch wichtiger, keinen Anlass sieht, sich künftig bewegen zu müssen.
Man kann das Gefühl bekommen, dass es Wladimir Putin einmal mehr gelungen ist, Donald Trump das Gefühl zu vermitteln: Da ist vielleicht Licht am Ende des Tunnels, während er in Wirklichkeit ein neues Stück Tunnel hintendran stellt.
Putin hat die für Russland wichtigste und lästigste Forderung abgeräumt, nämlich den Waffenstillstand, der es der Ukraine ermöglicht hätte, frei und sicher zu verhandeln, sodass er ohne jeden erkennbaren Druck, den die USA nicht ausüben, seinen Krieg fortsetzen kann und sich jetzt mit der Ukraine, der nichts anderes übrig bleibt, hinsetzen kann – während er die Ukraine weiter bekämpft und der Ukraine noch mal seine Kriegsziele in einem Memorandum aufschreiben kann.
Am Ende steht dann vielleicht ein Waffenstillstand. So muss man dies im Moment, fürchte ich, leider lesen.

Zur Person
Rüdiger von Fritsch war von 2014 bis 2019 deutscher Botschafter in Russland. Seit seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst ist er Partner bei der Consultingagentur Berlin Global Advisors und Autor. 2022 erschien von ihm das Buch „Zeitenwende – Putins Krieg und die Folgen“.
„Putin kann Trump ausrechnen“
tagesthemen: Sie kennen Putin gut. Wie blickt er auf diesen US-amerikanischen Präsidenten Donald Trump? Fühlt er sich ihm überlegen, wie ja manche vermuten?
von Fritsch: Das würde ich auf jeden Fall vermuten, dass er sich überlegen fühlt. Er hat natürlich ein grundsätzliches Problem mit Trump, nämlich das gleiche wie wir. Trump ist auch für ihn unberechenbar und sprunghaft. Und er weiß nicht genau, aber er kann ihn doch ausrechnen, denn er weiß, dass Donald Trump auf jeden Fall diesen, aus seiner Sicht auch für die USA, sehr teuren und irgendwie lästigen Konflikt in Europa beenden will. Und das um jeden Preis, mehr oder weniger.
Das heißt, er weiß, dass Trump bereit ist, sehr viel zu opfern, um den Konflikt zu beenden, sprich: Interessen der Ukraine, europäische Sicherheit. Und er weiß vor allem aber eines: dass Trump Handelsinteressen hat. Es ist sehr bemerkenswert, dass Trump im Zusammenhang des heutigen Telefongespräches vor allem mal wieder von amerikanischen und russischen Wirtschaftsinteressen gesprochen hat, für die er eine goldene Zukunft sieht. Und das nutzt Putin aus. Er sieht die Dollarzeichen in Trumps Augen.
„Putins Mittel sind nicht unendlich“
tagesthemen: Und Putin hat kürzlich auch gesagt, er habe die Möglichkeiten, er könne diesen Krieg noch jahrelang weiterführen. Stimmt das so?
von Fritsch: Das hängt wesentlich von uns ab. Sind wir bereit, entschlossen, nicht allein die Ukraine zu unterstützen, sondern durch die Sanktionen dazu beizutragen, dass Putin eines Tages an die Grenzen seiner finanziellen und wirtschaftlichen Möglichkeiten kommt?
Und das wird irgendwann der Fall sein. Auch Putin kann diesen Krieg nicht ewig weiterführen. Im Moment ist die Situation noch so, dass er das kann. Aber seine Mittel sind nicht unendlich. Und er spürt ganz konkret gegenwärtig durch die Verfassung seiner Wirtschaft und durch sehr konkrete einzelne Auswirkungen der Sanktionen, was es bedeutet, wenn der Westen die Sanktionen weiter verschärft.
Von daher ist es an uns, denn er muss nicht nur diesen für ihn sehr teuren Krieg finanzieren – er gibt gegenwärtig 40 Prozent seines Staatshaushaltes für den Krieg und kriegsverbundene Ausgaben aus, sondern er muss sich gleichzeitig ständig die Zustimmung der Menschen im Lande erkaufen. Er fürchtet den Unmut der Menschen, sonst wäre er nicht so repressiv.
Wann Putin verhandlungsbereit wird
tagesthemen: Sie sagen im Gegensatz zu manch anderen, Sanktionen bringen etwas. Nun könnte die EU das 17. Sanktionspaket beschließen. Das heißt aber auch: Es hat vorher schon 16 Sanktionspakete gegeben, die Putin eben nicht zum Einlenken gebracht haben. Also was bringen die dann?
von Fritsch: … die seine Situation aber immer mehr verschlechtert haben. Wenn wir uns mal die konkreten Zahlen anschauen, was zu wenig gemacht wird: Der Krieg, wie gesagt, kostet ihn 40 Prozent seines Staatshaushaltes. In guten Zeiten wurden 50 Prozent des Staatshaushaltes durch Öl und Gas verdient. Da sind wir bei 27 Prozent. Der russische Staatshaushalt rechnet mit 70 US-Dollar pro Fass Öl, das Russland verkauft, um weiter diese 27 Prozent verdienen zu können. Das Öl ist gegenwärtig bei 48 US-Dollar pro Fass, die Inflation im Lande liegt bei 10,2 Prozent.
Die Wirtschaft hat er durch seine Kriegsführung völlig überhitzt. Der zivile Teil rutscht gegenwärtig in die Rezession. Die Inflation bei mehr als zehn, die Lebensmittel-Inflation bei mehr als zwölf Prozent. Der Leitzins, mit dem die Staatsbank an andere Banken Geld verleiht, damit Privatpersonen, Unternehmen sich Geld leihen können, liegt bei 21 Prozent. Da investiert keiner mehr.
Das ist alles eine bestimmte Zeit aushaltbar. Russland hat noch flüssige Reserven, die sind aber seit Kriegsbeginn um zwei Drittel geschmolzen. Es ist ausrechenbar, dass das nicht unendlich ist. Und wir müssen durch Geschlossenheit und Entschlossenheit bei den Sanktionen dazu beitragen, dass er an die Grenze seiner Möglichkeiten kommt. Und in der Abwägung, wenn ich den Krieg fortsetze, gefährdet das meine Macht zu Hause, ist Putin in seiner Logik wirklich verhandlungs- und kompromissbereit.
Das Gespräch führte Jessy Wellmer für die tagesthemen. Das Interview wurde für die schriftliche Fassung leicht angepasst.