Noch bis zum vergangenen Dezember war die Ammerseebahn monatelang lahmgelegt, die maroden Gleise aus dem vorigen Jahrhundert mussten erneuert werden. Nun aber kann man auf der Route zwischen Schongau und Augsburg einen Zeitensprung ins nächste oder gar übernächste Jahrzehnt zurücklegen: Seit Kurzem wird dort probeweise ein Zug eingesetzt, der nicht mit Diesel, sondern mit Wasserstoff angetrieben wird. Das im Tank mitgeführte Gas reagiert in einer Brennstoffzelle mit Luft-Sauerstoff und erzeugt so Energie, die einen Elektromotor antreibt. Als Abgas fällt dabei nur Wasserdampf an. Ob damit die Zukunft des Bahnverkehrs auf bisher nicht elektrifizierten Strecken Einzug hält, wird von Fahrgastverbänden und Fachleuten allerdings stark bezweifelt.
Auf dem Kurs RB 67 der Bayerischen Regiobahn (BRB) verkehrt der fabrikneue Siemens Mireo Plus H planmäßig jede zweite Woche zweimal werktags pro Richtung: am frühen Morgen und am späten Vormittag. Im Internet-Kursbuch sind diese Verbindungen blau markiert. In Dießen etwa hält der auf „Freistaat Bayern“ getaufte Wasserstoffzug auf dem Weg nach Augsburg um 6.55 und 11.26 Uhr, in der Gegenrichtung um 5.54 und 10.27 Uhr. Auf kurzfristige Änderungen sollte man allerdings gefasst sein, denn der Testbetrieb erfordere auch „ständig technische Nachjustierungen oder Stopps im Betriebswerk zur Schulung der Fahrdienstleiter“, sagt BRB-Sprecherin Annette Luckner.
So war der Mireo in der vergangenen Woche nur am Montag, Donnerstag und Freitag entlang des Ammersees unterwegs, an den übrigen Tagen wurde er durch die regulären Lint-Dieseltriebzüge ersetzt. Derzeit bedient „Freistaat Bayern“ im wöchentlichen Wechsel mit Schongau-Augsburg die Route Augsburg-Buchloe-Füssen, wo sein Einsatz auch begann. „Seit seinem Teststart im Fahrgastbetrieb Mitte Dezember 2024 ist er bisher nur ein einziges Mal liegengeblieben“, sagt Luckner auf Nachfrage.
Das erscheint bemerkenswert, denn andernorts war der Umstieg auf die Brennstoffzelle von beeindruckenden Pannenserien überschattet. So wurden die zwei Jahre zuvor auf der Taunusbahn eingeführten Wasserstoffzüge des Herstellers Alstom Anfang dieses Jahres wieder durch 16 herkömmlichen Dieseltriebwagen ersetzt. Vorangegangen waren ständige Zugausfälle und zahllose, teils stundenlange Verspätungen. Allein im Januar 2025 seien nicht weniger als 201 Züge ausgefallen, meldete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Ein Großteil der Probleme auf der Taunusbahn waren laut Alstom auf mangelhafte Brennstoffzellen zurückzuführen.

Aber auch das Konkurrenzprodukt von Siemens hat sich im Berliner Umland als störanfällig erwiesen. Deshalb hat auch die Niederbarnimer Eisenbahn Mitte Januar den Einsatz von sechs Mireo-Wasserstoffzügen auf der Heidekrautbahn nach zwei Wochen wieder eingestellt. Hier war die Betankung das Hauptproblem: Die Züge mussten von Lkw-Trailern aus mit Treibstoff versorgt werden, weil die Tankstelle, die regional erzeugten grünen Wasserstoff abgeben sollte, nicht rechtzeitig fertiggestellt war. Die ambulante Betankung dauerte jedoch viel länger und füllte höchstens zwei Drittel des möglichen Volumens – so ließ sich der tägliche Energiebedarf im Betrieb nicht ausreichend decken.
Die BRB kann für ihren Testlauf in Oberbayern und Schwaben auf eine Tankstelle in Augsburg zurückgreifen, die per Lkw mit Wasserstoff aus regenerativen Energiequellen versorgt wird. Mit einer Füllung kommt der Mireo bis zu 800 Kilometer weit. Bei der Einfahrt im Dießener Bahnhof ist dem Zug die technische Pionierleistung nicht gleich anzumerken: Äußerlich unterscheiden ihn zunächst nur der Name des Gefährts und ein Aufdruck „H2“ von den sonst eingesetzten Lint 41. Im Inneren des Mireo fällt auf, dass 22 Sitzplätze weniger zur Verfügung stehen und sich der Zug geräuscharmer und geschmeidiger in Bewegung setzt. Sein gegenüber dem Verbrennerantrieb weit überlegenes Beschleunigungsvermögen und das höhere Maximaltempo bieten den Vorteil, im Linienverkehr eventuelle Verspätungen leichter aufholen zu können.
Kritiker bezweifeln, dass sich Wasserstoff als Energieträger für den Bahnverkehr durchsetzen wird.
Ob sich Wasserstoff als Energieträger für den Bahnverkehr durchsetzen wird, wird allerdings von Vielen bezweifelt. Unter den Kritikern und Skeptikern finden sich etwa der Fahrgastverband „Pro Bahn“ oder Ansgar Brockmeyer, Manager des Schweizer Zugherstellers Stadler. Vor allem wird der geringe Wirkungsgrad gegen den Wasserstoffantrieb ins Feld geführt, rund 60 Prozent der eingesetzten Energie gehen verloren. Zudem hinkt noch immer der Ausbau der Infrastruktur hinterher, und Wasserstoff ist ein in vielen Anwendungsbereichen begehrtes und entsprechend kostspieliges Gut. Selbst für die Bayerische Staatsregierung, die viel Geld in das Experiment steckt, bleiben Oberleitungen bei der Stromversorgung die erste Wahl, wie sie entlang der Hälfte der bayerischen Gleisstrecken installiert sind.

Doch ein Leitungsneubau ist aufwendig und langwierig, heuer soll das bundesweit gerade mal auf 66 Kilometer Schiene geschehen. Zwar hält der Freistaat bislang am Ziel fest, für den Klimaschutz bis 2040 auf Dieselzüge ganz zu verzichten, wie es in der bayerischen „Elektromobilitätsstrategie Schiene“ festgelegt ist. Aber dazu wäre Wasserstoff nicht unbedingt erforderlich, wie das Beispiel Niedersachsen zeigt: Dort hat die Landesnahverkehrsgesellschaft nach einem pannenreichen Testbetrieb mit Brennstoffzellen 2023 beschlossen, stattdessen künftig Akkutriebzüge einzusetzen. Vor allem auch aus Kostengründen: Einer Studie zufolge ist der Betrieb eines Wasserstoffzugs fast doppelt so teuer.
Laut „H2-Marktindex 2024“ liegen die Kosten für grünen Wasserstoff beim Sechs- oder Siebenfachen des Gaspreises, CO₂-Zertifikate eingerechnet. Bis zum Ablauf des Probebetriebs auf der Ammerseebahn und den Linien ins Allgäu kann sich das freilich noch ändern: Der Test soll bis Mitte 2027 laufen. Wie glatt, muss sich zeigen. Die BRB geht im Vergleich zur Taunus- und Heidekrautbahn ein geringes Risiko ein: Der einzelne Mireo ist – anders als eine ganze Flotte – bei einem Ausfall im Netz relativ leicht zu ersetzen. Zumindest, wenn er nicht auf offener Strecke stehen bleibt und das Gleis blockiert.