Nahostkonflikt und Wahlen
Zahl politisch motivierter Straftaten massiv gestiegen
20.05.2025, 10:43 Uhr
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Die Statistik ist ernüchternd: Schon 2023 erreichte politisch motivierte Gewalt einen Höchstwert. Doch im vergangenen Jahr wird dieser Negativrekord noch um 40 Prozent übertroffen. Besonders hoch ist der Anteil von Gewalttaten mit einem rechten Hintergrund.
In Deutschland sind im vergangenen Jahr mehr als 84.000 politisch motivierte Straftaten verübt worden, so viele wie in keinem anderen Jahr seit Einführung der bundesweiten Statistik 2001. Im Vergleich zu 2023 stieg die Zahl der polizeibekannten Delikte mit politischem Motiv um rund 40 Prozent. Das Bundeskriminalamt sieht unter anderem Wahlen und den Nahost-Konflikt als Ursachen für die Zunahme politisch motivierter Straftaten.
Neben der Europawahl im Juni gab es 2024 Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sowie die Teilwiederholung der Bundestagswahl in Berlin. Zudem warf die vorgezogene Bundestagswahl ihre Schatten voraus. Am stärksten war der Anstieg 2024 bei den Straftaten, die mutmaßlich rechts motiviert waren. Ihre Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr laut Polizeistatistik von 28.945 Straftaten auf 42.788 Delikte.
Auch unter den 4107 Gewalttaten mit politischem Motiv im vergangenen Jahr ist der Anteil jener, die laut Polizei einen rechten Hintergrund haben, mit rund 36 Prozent besonders hoch. 975 Gewalttaten – knapp 24 Prozent – entfielen auf den Bereich „ausländische Ideologie“. 762 Gewalttaten – knapp 19 Prozent – rechnete die Polizei dem linken Spektrum zu.
Zunahme auch bei „Hasskriminalität“
Wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters Anhaltspunkte liefern, dass er aufgrund von Vorurteilen – etwa bezogen auf ethnische Herkunft, Religionszugehörigkeit oder Geschlecht – gehandelt hat, spricht die Polizei von sogenannter Hasskriminalität. In 19.481 Fällen sahen die Polizeibeamten „Fremdenfeindlichkeit“ als Motiv.
In 6236 Fällen wurde in der Eingangsstatistik der Polizei ein mutmaßlich antisemitisches Motiv aktenkundig. Von den insgesamt 7328 politisch motivierten Straftaten, die die Polizei den Unterthemenfeldern „Israel“ und „Palästina“ zugeordnet hat, sah sie in 2832 Fällen eine antisemitische Tatmotivation. Ein großer Teil der 793 politisch motivierten Gewaltstraftaten, die im Kontext des Nahost-Konflikts polizeibekannt wurden, stand in Zusammenhang mit Demonstrationen und Protestaktionen. Das lässt sich an der Art der Delikte erkennen – darunter 111 Fälle von Landfriedensbruch und 385 Widerstandsdelikte.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt zeigte sich besorgt: „Der noch nie dagewesene Anstieg der Fallzahlen politisch motivierter Straftaten ist eine bedenkliche Entwicklung, die wir mit aller Konsequenz und Entschlossenheit bekämpfen. Insbesondere die hohe Zahl antisemitischer Straftaten ist nicht hinnehmbar.“ Deutschland müsse allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen und jedweder Gewalt entgegentreten und werde nicht akzeptieren, dass Straftäter Angst und Schrecken verbreiten, sodass Ehrenamtliche und Politiker ihr Engagement einstellen. Dobrindt sprach sich für eine gemeinsame Sicherheitsoffensive von Bund und Ländern aus, einer „echten Zeitenwende in der inneren Sicherheit“.
Auch Beratungsstellen alarmiert
Zu einem alarmierenden Ergebnis kommt auch eine an diesem Dienstag veröffentlichte Statistik des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach gab es 2024 insgesamt 3453 „rechte Angriffe“ – knapp 900 mehr als 2023, als bereits ein Höchstwert in der seit 2014 erhobenen Zahlenreihe gemessen worden war.
Den Angaben zufolge gab es 2024 insgesamt 4681 „direkt von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ betroffene Menschen – auch diese Zahl stellt einen Höchstwert seit der Erhebung 2014 dar. Die Erhebung bezieht sich auf 12 der 16 Bundesländer. Für Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Bremen und das Saarland lagen 2024 keine Zahlen vor, in den Vorjahren fehlten zudem die Daten aus weiteren einzelnen Bundesländern. So bezog sich die Zahl von 2023 nur auf 11 Länder, weil Zahlen aus Hessen fehlten.
Die meisten Gewalttaten gab es 2024 in Berlin (366), Nordrhein-Westfalen (294), Sachsen (213) und Bayern (211). In insgesamt 1794 Fällen sei Rassismus das Tatmotiv bei rechtsextremistischen Straftaten gewesen, stellen die Autorinnen und Autoren der Studie fest. Dahinter folgen Angriffe auf politische Gegner (542), Antisemitismus (354) und LGBTIQ-Feindlichkeit (344). Die meisten Gewalttaten waren demnach Bedrohungen und Nötigungen (1212), sogenannte einfache Körperverletzungen (1143) und gefährliche Körperverletzungen (681).
„Der unübersehbare Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten lässt sich nur im Kontext einer zunehmenden gesellschaftlichen Akzeptanz und Verbreitung extrem rechter, minderheiten- und demokratiefeindlicher Haltung und migrationsfeindlicher Diskurse verstehen“, sagte Judith Porath vom Vorstand des Verbands der Beratungsstellen. Dies erzeuge eine wachsende Bereitschaft zur Gewalt. Porath forderte von der neuen Bundesregierung einen „nationalen Aktionsplan zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“.