Herr Kohle, Herr Schröder, Enpal und 1Komma5° sprechen häufig übereinander, heute beziehen Sie gemeinsam Position. Sind Sie so stark unter Druck, dass Sie zusammen die Flucht nach vorne ergreifen müssen?
Mario Kohle: Natürlich stehen wir in einem intensiven Wettbewerb, und das ist gut so. Aber wir verstehen uns beide auch als Vertreter einer neuen Branche. Wir sind nicht mehr nur Solarunternehmen, sondern bauen aus der Kombination von Solar, Batterien, Wärmepumpen, Ladesäulen und virtuellen Kraftwerken jeweils ein vollkommen neues Ökosystem. Wir nennen das „New Energy“. Das ist erklärungsbedürftig und es hilft, gemeinsam darüber zu sprechen.
Philipp Schröder: Bislang fehlt eine gemeinsame Stimme von uns Clean-Tech-Unternehmen. „Old Solar“ hat vor allem Solaranlagen produziert und war dabei auf Subventionen angewiesen. Jetzt geht es mehr darum, wie man mit großen Mengen Erneuerbaren umgeht, also um Netzdienlichkeit, Software und die intelligente Integration ins Netz. Wir haben die Chance auf das günstigste und sauberste Energiesystem der Welt. Wenn wir gehört werden wollen, müssen wir gemeinsam den Mund aufmachen – deswegen sind wir heute hier.
Kohle: Klar ist doch: Die Erneuerbaren sind Deutschlands Chance auf echte Energiesouveränität und dauerhaft niedrige Strompreise. Je schneller wir elektrifizieren, desto schneller können wir die sinkenden Kosten der erneuerbaren Energien für die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft nutzen. Die 20 Gigawatt sind eine rein politische Größe und müssen erst einmal von der EU genehmigt werden.
Was braucht der Strommarkt denn?
Kohle: Solaranlagen sind schon heute die günstigsten Stromerzeuger und zusammen mit Batteriespeichern werden diese in den nächsten Jahren noch einmal um den Faktor drei bis fünf günstiger. Die Umstellung auf Erneuerbare ist also kein ökologischer Luxus, sondern reine Logik. Das ist die Realität und ich wünsche mir eine Politik, die weitsichtig gestaltet, statt in den Markt einzugreifen. Neue Gaskraftwerke erfüllen eine Funktion, die man durch flexible Speichertechnologie und intelligente Netze viel günstiger abbilden kann. Wir laufen Gefahr, mit zu vielen Gaskraftwerken verheerende Lock-in-Effekte zu schaffen. Wenn wir damit beginnen, Gaskraftwerke in großem Stil auszubauen und staatlich zu finanzieren, sind wir auf Jahre gezwungen, diese entweder zu nutzen oder teuer und vorzeitig abzuschreiben.
Herr Schröder, stellt der von Reiche angekündigte „Realitätscheck“ auch das Geschäft von Unternehmen wie 1Komma5° auf die Probe?
Schröder: Das angekündigte Monitoring des Netzausbaus finde ich richtig. Denn die entscheidende Frage ist, wie viel Strom wir transportieren müssen, wenn der Verbrauch erst voll flexibel ist. Jemand, der einen großen Energieversorger wie die Westenergie geleitet hat, sollte das gut einschätzen können. Die Politik muss aber aufpassen, nicht einfach die Annahmen von heute in die Zukunft fortzuschreiben. Die Frage nach den neuen Gaskraftwerken liegt ähnlich. Wie viel Strom wir zusätzlich zum Ökostrom noch brauchen, hängt davon ab, wie viel Flexibilität wir erreichen. Ihr Fehlen macht die Energiewende teuer, und ohne sie werden wir die Klimaneutralität nicht erreichen. Da muss eine Lösung gefunden werden – und wir als „New Energy“ sind bereit, Systemverantwortung zu übernehmen.
Wie sollte eine Lösung aus Sicht von 1Komma5° und Enpal aussehen?
Schröder: Wir brauchen vor allem eine Gleichbehandlung von Erzeugern und Flexibilitäten. Es muss eigentlich vollkommen egal sein, ob es um ein bidirektional ladendes Auto geht, einen Heim- oder einen großen Industriespeicher. Am Ende muss man ein Stromsystem schaffen, in dem alle Erzeuger und Flexibilitäten miteinander über den Preis konkurrieren. Die Frage „zentral oder dezentral“ ist dann nicht mehr politisch, weil der Markt das regelt. Wenn die Bundesnetzagentur aber nur Groß- und nicht auch Heimspeicher von den Netzentgelten befreit, wird das schwierig. Ziel muss es schließlich sein, mit der gleichen Menge Kupfer deutlich mehr erneuerbaren Strom zu bewegen.
Heißt Gleichbehandlung auch, dass man die Einspeisevergütung für Solarstrom abschaffen kann, wie es Eon -Chef Leonhard Birnbaum kürzlich in der F.A.S. gefordert hat?
Schröder: Ich stehe mit Leo in konstruktivem Austausch. Aber erst einmal muss man sich die Frage stellen, was eine sinnvolle Leitschnur für die Politik ist. Das können nur die volkswirtschaftlichen Systemkosten sein. Leider interpretiert jede Lobby diese in ihrem eigenen Sinne. Blockheizkraftwerke bekamen zum Beispiel vermiedene Netzentgelte, wurden also vergütet, weil man fälschlicherweise so tat, als würden sie das Netz entlasten. Auch die Verteilnetzbetreiber werden immer fragen, wie sie ihre Eigenkapitalrendite möglichst hochhalten können, um Schwimmbäder zu finanzieren und ihre Parteifreunde in der Politik glücklich zu machen. Wieder andere werden fragen, wie sie möglichst viele Solaranlagen oder Batterien verkaufen. Außerdem wurde die Politik zugunsten der Bundesnetzagentur entmachtet und letztere fragt – Gott sei Dank – nach dem Systemnutzen. Damit müssen auch wir umgehen.
Und was bedeutet das für die Einspeisevergütung?
Schröder: Da kann es nur Wenn-Dann-Antworten geben. Erst müsste man die Netzentgelt-Regeln für Heimspeicher und Großspeicher angleichen. Außerdem müssen die Prozesse für die Direktvermarktung – also die Alternative zur Einspeisevergütung – stark vereinfacht werden.
Kohle: Wenn man solche Hürden entfernt, wird die Flexibilisierung Fahrt aufnehmen, und die feste Einspeisevergütung wird unwichtig. Allein die angekündigten Industriespeicher haben eine Leistung von 230 Gigawatt. Wer heute ein Haus mit einem normalen Stromtarif, einer Gasheizung und zwei Verbrennerautos umstellt auf Solar, Speicher, Wärmepumpe und Elektroautos, kann in den nächsten 25 Jahren mehr als 100.000 Euro sparen. Die feste Einspeisevergütung setzt aktuell aber keinen Anreiz zur intelligenten Integration dieser Anlagen in den Markt. Die mangelnde Digitalisierung erschwert zum Beispiel, dass Eigenheimbesitzer ihren Solarstrom an der Energiebörse intelligent vermarkten können, um einerseits das Netz zu entlasten und andererseits einen finanziellen Mehrwert zu erzielen.
Flexibilität geht nur mit intelligenten Stromzählern, sogenannten Smart Metern. Doch der Ausbau kommt seit Jahren nur schleppend voran. Wie kommt auch in Deutschland Schwung in die Sache?
Schröder: Ich habe lange Zeit gedacht, dass es einen systematischen Grund für den langsamen Roll-out gibt. Doch es geht vor allem um das fehlende Verständnis der Politik und Lobbyreflexe von einzelnen Akteuren. Viele kleinere Netzbetreiber verfügen nicht über die technischen Voraussetzungen in ihrem Back-end. Warum auch? Die alten Ferraris-Zähler sind für sie Gelddruckmaschinen.
Kohle: Wir stehen auf den Schultern von Giganten: Unsere Eltern und Großeltern haben in die Hände gespuckt, politische Entscheidungskraft mit unternehmerischer Entschlossenheit gepaart und uns dadurch einen gewissen Wohlstand aufgebaut. Ich glaube, dass wir in einem phantastischen Land leben, in dem wir diese Geschichte weiterschreiben können, wenn wir den Bedenkenträgern nicht den Vorrang lassen. Das bedeutet auch, neuen Technologien offen gegenüber zu sein und mutig voranzugehen. Als man zu Anfang des 20. Jahrhunderts auf eine Straße geschaut hat, gab es nur Pferde. Damals dachte man, dass es Jahrhunderte dauern würde, bis sich das Auto durchsetzt. Tatsächlich war es in weniger als 20 Jahren soweit. Diesen Effekt darf man auch in der Zukunft nicht unterschätzen.
Wenn größere Netz- beziehungsweise Messstellenbetreiber das mit den Smart Metern besser hinkriegen: Sollte man die kleinsten dann zur Fusion zwingen?
Schröder: Dazu maße ich mir keine Antwort an. Aber tatsächlich sind die größeren Netzbetreiber deutlich weiter. Und eine Harmonisierung der IT-Landschaft würde Sinn machen, vorgeschrieben von der Bundesnetzagentur. Ich fände es auch fair zu sagen: Wenn ihr es selbst nicht hinbekommt, nutzt halt die IT-Systeme der anderen.
Kohle: Bei Enpal beschäftigen sich mehr als 100 Leute nur mit der Koordination mit den Netz- und Messstellenbetreibern, Tendenz weiter steigend. Wir reden darüber, dass jeder Haushalt einen Smart Meter bekommt. Das ist keine Raketenwissenschaft, und ich weigere mich, das als Problem anzuerkennen.
An der Strombörse sind die Preise immer öfter negativ, auch Solarstrom wird immer weniger wert. Wie kann man diesem Problem begegnen?
Schröder: Es ist kein Problem, zu viel sauberen und günstigen Strom zu haben. Das Problem ist, dass wir ihn nach Österreich und Frankreich schieben müssen und später für den zehnfachen Preis zurückkaufen. Stattdessen sollten wir in der Lage sein, den Strom vor Ort zu verbrauchen, indem wir bei viel Ökostromerzeugung Wärmepumpen, Speicher oder Elektroautos zuschalten. Genau das machen Enpal und 1Komma5° schon heute. Das ist systemdienlich und volkswirtschaftlich sinnvoll. Wenn wir das mit den intelligenten Stromzählern und der Flexibilität nicht flächendeckend klären, werden wir dauerhaft sehr hohe Strompreise haben und das System wird dysfunktional bleiben.
Wettbewerber mit gemeinsamer Agenda
Viele Fototermine haben Philipp Schröder und Mario Kohle noch nicht gemeinsam absolviert. Das Gespräch, das sie mit der F.A.Z. in Berlin führten, ist das erste Doppelinterview der beiden Gründer. Die Energie-Start-ups 1Komma5°, das Schröder 2021 gestartet hat, und die 2017 von Kohle gegründete Enpal stehen im Wettbewerb um Kunden für Solaranlagen, Wärmepumpen, Ladesäulen und Batteriespeicher. Geredet wird zumindest in der Öffentlichkeit vor allem übereinander, am liebsten in den sozialen Medien. Hier kann der Zweikampf um die Marktführerschaft medienwirksam inszeniert werden.
„Glückwunsch zur neuen Finanzierungsrunde!“, rief Schröder dem Wettbewerber zur jüngsten Bekanntgabe zu, nachdem Enpal noch einmal einen dreistelligen Millionenbetrag bei Investoren eingesammelt hatte. „Selbstverständlich werden wir den Wettbewerb zwischen uns mit dem Ziel weiter verfolgen, euch zu überholen!“, schob er hinterher. Auch 1Komma5°hat gerade eine weitere Finanzierungsrunde bei Investoren gedreht und eine dreistellige Millionensumme eingeworben. Die Mittel können beide gut gebrauchen, denn Börsenpläne liegen erst einmal auf Eis. Der Konkurrenzkampf untereinander hat sich weiter verschärft, weil der Boom auf den Solardächern nachgelassen hat.
Die Chemie zwischen den beiden Unternehmern stimmt. „Das ist ein richtig cooler Typ“, sagt der 41 Jahre alte Schröder über den ein Jahr jüngeren Kohle. „Auch wenn wir im täglichen Wettbewerb stehen, stimme ich mit den Positionen voll überein“, sagt Kohle über Schröder, als der die energiepolitische Agenda erklärt, die sie gemeinsam setzen wollen.
Kohle ist vor den Toren Berlins aufgewachsen. Das Studium führte ihn nach Vallendar an die private Hochschule WHU, eine der renommiertesten Gründerschmieden der Republik. 2008 gründete er das erste Mal, ein Käuferportal für Anlagen vom Treppenlift bis zur Solaranlage. 2016 verkaufte er seine Anteile, um ein neues Projekt zu verfolgen. Wenige Monate später ging Enpal an den Start.
Schröder hat zu Hause in Hamburg und an der Universität Sankt Gallen in der Schweiz studiert. Er war von Ende 2013 an für zwei Jahre der erste Chef des amerikanischen Elektrowagenherstellers Tesla in Deutschland. Schröder hat mehrere Unternehmen gegründet oder in der Pionierphase begleitet, darunter den Windanlagenbetreiber Juwi und den Photovoltaikspezialist Sonnen, bevor er vor vier Jahren mit 1Komma5° gestartet ist.