
In der Westukraine produziert die April-Stiftung sogenannte FPV-Drohnen – kleine, ferngesteuerte Einwegmodelle, ausgestattet mit Kamera, etwa einen halben Meter groß. Sie können bis zu zwei Kilogramm tragen und fliegen rund zehn Kilometer weit. Gegründet wurde die Stiftung von Yurij Tanasijchuk, einem Juristen, der seinen Beruf für die Dauer des Krieges hintenanstellt. Die ersten Drohnen hätten er und seine Mitstreiter mithilfe von YouTube-Tutorials gebaut, sagt er. Heute geht keine Drohne ohne Test an die Front.
Die Drohnen der April-Stiftung werden nicht nur für Kampfzwecke eingesetzt, sondern auch für humanitäre Zwecke: Sie liefern Medikamente, Wasser und Lebensmittel in Gebiete, die auf dem Landweg nicht erreichbar sind, weil die Wege unter Beschuss stehen. Seit Herbst 2023 hat die Stiftung nach eigenen Angaben über 800 Drohnen an die Front gebracht – finanziert größtenteils durch Spenden aus der ukrainischen Bevölkerung, zu einem Viertel auch von Soldaten selbst.
Solche zivilgesellschaftlichen Initiativen spielen eine wichtige Rolle in der Versorgung der ukrainischen Armee. „Die großen Unternehmen, die massenhaft Drohnen für die Front herstellen, sind wichtig. Aber sie sind nicht so flexibel wie wir“, betont Tanasijchuk. Denn die Anforderungen an die Technik ändern sich schnell: Nach etwa 45 Tagen gelinge es der russischen Seite meist, neue Systeme zu stören. Dann müssten die Drohnen neu konfiguriert werden. Sie stünden direkt mit den Einheiten an der Front in Kontakt und fertigten passgenaue Geräte – etwa mit der jeweils notwendigen Übertragungsfrequenz.
Europäische Rüstungspolitik blickt auf die Ukraine
Ende März stellte die Europäische Kommission ihren Plan „Bereitschaft 2030“ vor, der unter anderem fast 800 Milliarden Euro für militärische Aufrüstung vorsieht. Auf einer Konferenz der Denkfabrik „Liberale Moderne“ in Berlin betonte der litauische EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt, Andrius Kubilius, wie wichtig es sei, diese Mittel effizient einzusetzen – und verwies dabei auf die Ukraine als Vorbild.
Die Ukraine sei, so Kubilius, in der Lage, moderne Waffen auf europäischem Niveau herzustellen, in manchen Bereichen – insbesondere bei Drohnen und elektronischer Kriegsführung – sogar in besserer Qualität. Zudem produziere die Ukraine deutlich günstiger als die EU.
Kubilius sprach sich dafür aus, die ukrainische Rüstungsindustrie in eine europäische Massenproduktion einzubeziehen. Davon könnten beide Seiten profitieren: Die EU mit ihrer industriellen Kapazität, die Ukraine mit ihrer Erfahrung in moderner Kriegsführung.
Nach Angaben des ukrainischen Oberbefehlshabers Oleksandr Syrskyj entfielen im Januar 2025 rund 66 Prozent der erfolgreichen ukrainischen Angriffe gegen russische Militärtechnik auf Drohneneinsätze.
Im vergangenen Jahr hat der ukrainische Staat nach eigenen Angaben 96 Prozent seiner Drohnen bei heimischen Produzenten gekauft – ein breites Spektrum, das von einfachen Einwegmodellen über Aufklärungs- bis hin zu Kamikazedrohnen mit mehreren Hundert Kilometern Reichweite reicht. Auch unbemannte Unterwasserdrohnen und landgestützte Robotersysteme gehören inzwischen zum Arsenal.
Von der Freiwilligenbewegung zum Industrieverband
Die ukrainische Rüstungsindustrie umfasst inzwischen rund 800 Unternehmen, davon etwa 100 staatlich und 700 privat geführt. Etwa 60 der privaten Hersteller haben sich zur Union „Tech Force“ zusammengeschlossen. Sie entwickeln Drohnen, robotergestützte Waffensysteme und Software für elektronische Kriegsführung – alles für den Einsatz durch die ukrainischen Streitkräfte.
Vorsitzender von Tech Force ist Vadym Yunyk. Sein Unternehmen FRDM – benannt nach dem englischen Wort „Freedom“ – produziert Kamikazedrohnen und Landroboter. Yunyk war ursprünglich Teil einer Freiwilligenbewegung namens „Luftaufklärung“, der er sich 2014 nach dem Maidan angeschlossen hatte. Damals habe er sich gefragt, wie er an der Front am nützlichsten sein könne, erzählt er. Die Überzeugung, dass Drohnen Leben retten können, sei unter Freiwilligen weit verbreitet gewesen – bei Militärs dagegen anfangs auf Skepsis gestoßen. Noch im Jahr 2020 sei er von einem General für sein „Spielzeug“ belächelt worden.
Heute beschäftigt Yunyk rund 300 Mitarbeitende. Er betont, dass seine Drohnen ausschließlich mit ukrainischen und europäischen Komponenten ausgestattet würden. Viele Hersteller seien jedoch weiterhin auf Elektronik und Batterien aus China angewiesen – aus Kostengründen. Yunyk sieht das kritisch. China sei kein verlässlicher Partner. Für ihn sei die Herkunft der Bauteile daher auch eine Frage der nationalen Sicherheit.
Zwischen Bürokratie und Reform: Der Staat als Flaschenhals
Die ukrainische Industrie bemüht sich zunehmend, zentrale Bauteile für Drohnen selbst herzustellen – auch, um besser auf die sich rasch ändernden Anforderungen an der Front reagieren zu können. Doch der Umbau verläuft schleppend. Vadym Yunyk, Vorsitzender der Herstellervereinigung Tech Force, kritisiert insbesondere die Rolle des Staates als Auftraggeber. Die zentrale Beschaffungsagentur des Verteidigungsministeriums sei durch Bürokratie gelähmt, so Yunyk.
Die Regierung versucht inzwischen gegenzusteuern. Sie hat ein eigenes Ministerium für strategische Industrien gegründet. Dessen stellvertretende Leiterin ist Anna Hvozdiar, die zuvor für die bekannte Prytula-Stiftung gearbeitet hat – eine zivilgesellschaftliche Organisation, die Ausrüstung für die Armee beschafft und direkt an die Front bringt. Hvozdiar versteht ihr Ministerium als eine Art Dienstleister für die Rüstungsunternehmen. Man habe viele Verfahren entschlackt, sagt sie. Die bisherige Verteidigungsindustrie sei zu teuer, zu schwerfällig und schlecht zugänglich gewesen – aber der Krieg zeige: Mit etwas Mut lasse sich vieles vereinfachen.
Hoffnung auf europäische Unterstützung
Obwohl der ukrainische Staat 2024 rund 35 Milliarden US-Dollar für Rüstungsgüter ausgeben konnte – deutlich mehr als im Vorjahr –, reicht das Geld nicht aus, um die gesamte Produktionskapazität der heimischen Industrie auszuschöpfen. Nach Einschätzung vieler ukrainischer Akteure könnten doppelt so viele Drohnen hergestellt werden, wenn ausreichend Mittel zur Verfügung stünden.
Wolodymyr Chernyuk, Leiter der Innovationsplattform IRON, eine Plattform für Unternehmen und Startups der Rüstungsbranche in Lwiw, fordert daher, dass europäische Regierungen nicht nur Waffen für die Ukraine in der EU produzieren lassen, sondern gezielt die ukrainische Industrie unterstützen. Dänemark tut das bereits. Nach Gesprächen mit potenziellen Investoren in Brüssel zeigt sich Chernyuk zuversichtlich.
Ausländische Rüstungsfirmen in der Ukraine
Um die eigene Produktion zu stärken, wirbt die ukrainische Regierung gezielt um ausländische Unternehmen. In der Ukraine zu produzieren, bedeute, „modern, bedarfsgerecht und wirksam“ zu arbeiten, sagt Vizeministerin Anna Hvozdiar.
Rheinmetall etwa repariert inzwischen Panzer vor Ort und baut eine Munitionsfabrik. Das bayerische Unternehmen Quantum Systems hat eine Drohnenproduktion in der Ukraine aufgebaut. Die Armee hat bereits mehrere Hundert Stück im Einsatz.
Die Reparatur solcher Systeme im Ausland habe sich als zu langsam erwiesen, sagt Geschäftsführer Sven Kruck: „Wir mussten ins Land. Die Systeme müssen vor Ort betreut werden.“
Dilemma zwischen Kriegsbedarf und Zukunftsmarkt
Ukrainische Drohnenhersteller sehen sich allerdings mit finanziellen Einschränkungen konfrontiert. Die Regierung erlaubt lediglich einen Preisaufschlag von maximal 25 Prozent auf die Produktionskosten, wobei Ausgaben für Forschung und Entwicklung unberücksichtigt bleiben. Vadym Yunyk, Vorsitzender der Herstellervereinigung Tech Force, kritisiert, dass alle Produzenten ausschließlich den Staat als Kunden hätten. Er betont, dass viele Unternehmen bereit wären, ihre Produkte auch ins Ausland zu verkaufen, um Einnahmen für Investitionen in die Weiterentwicklung zu generieren.
Die Regierung hält jedoch am Exportverbot fest. Anna Hvozdiar, stellvertretende Ministerin für strategische Industrien, argumentiert, dass der Fokus auf der Versorgung der eigenen Armee liegen müsse, insbesondere angesichts der aktuellen Kriegssituation.
Gleichzeitig wächst das internationale Interesse an ukrainischem militärischem Know-how. So kündigte der Chef des dänischen Heeres im April an, dänische Soldaten zum Drohnentraining in die Ukraine zu entsenden – mit dem Ziel, von ukrainischen Drohnenpiloten ausgebildet zu werden. Der ukrainische Botschafter in Deutschland regte an, dass ukrainische Experten Bundeswehrsoldaten schulen könnten.
dh