Die große Geste hat Justin Engel schon drauf, wie er nach dem Matchball zeigt. Handschlag mit Jan-Lennard Struff, dem Favoriten, den er gerade auf dem Center Court am berühmten Rothenbaum besiegt hat. Kurzer Dank an den Stuhlschiedsrichter, Schläger weg, dann ab auf den Platz. Die Arme ausgebreitet wie ein Adler schreitet Engel in die Mitte, den Applaus aufsaugend, strahlend. „Heute hat alles gepasst, das muss ich erst mal sacken lassen“, sagt er später verdutzt.
Viel Zeit, diesen Erfolg zu verarbeiten, hat der 17-Jährige nicht. An diesem Mittwoch geht es für den Franken aus Nürnberg bereits weiter, zweite Runde beim Hamburger ATP-Turnier gegen den Russen Andrej Rublew. Wieder ist Engel der Außenseiter, aber sein Gegner, immerhin ein früherer Top-Ten-Mann, steckt in einer Schwächeperiode. Diese Chance will Engel nutzen. Da zu sein, wenn andere es nicht sind – das ist die Kunst im Leistungssport. Als Teenager umso mehr.

:Zverev soll in Hamburg Liebe tanken
Der Weltranglistendritte Alexander Zverev tritt zur eigenen Überraschung nun doch bei seinem Hamburger Heimturnier an. Sein Team hatte ihm den Start in letzter Sekunde verordnet. Die Mission: Seine Mentalität auf dem Platz soll besser werden.
Das deutsche Tennis muss nicht gleich hyperventilieren ob einiger Talente, die sich ans Profitennis heranpirschen, aber Hoffnungsgefühle schwingen schon mit, wenn Akteure wie der Berliner Diego Dedura, 17, oder eben Engel aufschlagen. Jüngst bei den BMW Open in München gelang Dedura erstmals ein Sieg in der Hauptrunde eines ATP-Turniers, wonach er sich rücklings in den Sand warf. In Hamburg erhielt er wie Engel eine Wildcard (er verlor diesmal gleich gegen den Italiener Luciano Darderi), der Deutsche Tennis Bund (DTB), der die Turnierlizenz an die internationale Agentur Tennium verpachtet hat, besitzt noch das Recht, ein paar freie Startplätze an Spieler zu vergeben. „Das ist ideal, dass wir diesen Jungs die Chance geben können, Erfahrungen zu sammeln“, sagt Bundestrainer Michael Kohlmann. Gleichwohl mahnt er: „Wir müssen ihnen Zeit geben. Der Weg nach oben ist lang und schwer.“
Agentur, PR-Berater, Freundin, Medien: Es herrscht viel Trubel um Engel
Dass Dedura und Engel, die binnen kurzer Zeit auf die Weltranglistenplätze 372 und 333 geklettert sind, die Fantasien beflügeln, lässt sich auch an den Menschen erkennen, die sie umgeben. Dedura hat einen Agenten des Vermarktungsriesen IMG an der Seite; er legte überdies seinen Doppelnamen – Dedura-Palomero – ab, der sei zu sperrig. Engel wird vom schlitzohrigen früheren Profi Philipp Kohlschreiber trainiert, neben Vater Horst, dazu hat er, was nicht mal Alexander Zverev hat, einen PR-Berater (der bei Sky auch Tennis kommentiert). Eine Agentur hat sich ihn auch geangelt. Seine Freundin ist ebenfalls beim Turnier dabei. Viel Aufmerksamkeit für die Teenager, die den Trubel aber, das zeigen die Turniere in München und jetzt in Hamburg, bislang bewältigen können. 17-Jährige in der Entwicklung sind sie ja immer noch.

„Vielleicht hatte ich ein Pokerface, und man sieht es mir nicht an, aber ich war auf jeden Fall sehr nervös“, gab Engel nach seinem 7:6 (4), 7:6 (4)-Erfolg gegen Struff zu. Es war ein Sieg, der sich ein wenig nach Generationswechsel anfühlte. Es war zudem sein erster Sieg gegen einen Top-100-Profi. 2024 machte er bereits Schlagzeilen, als er in Almaty als erster Spieler des Jahrgangs 2007 ein Match auf der ATP-Tour gewann. Struff, 35, eine amüsante Fußnote, war mal Babysitter beim kleinen Justin, vor vielen Jahren, die Familien kennen sich lange. Erinnerungen an früher habe Engel nicht, „da war ich zu klein“, sagte er: „Aber der Struffi ist ein guter Freund. Ich habe ein paar Mal mit ihm trainiert und musste leider heute gegen ihn spielen.“
Das durfte Struff, der nach einer Verletzungsphase verzweifelt Form und Selbstvertrauen sucht, auch umgekehrt behaupten, denn Engel tat ihm auf dem Platz weh und spielte furchtlos auf, getragen von seinem starken Aufschlag. Alexander Zverev, nach einem am Ende mühevollen 6:1, 7:6 (5) gegen den Amerikaner Aleksandar Kovacevic in Runde zwei, hält Engel für ein „super Talent“, das nur Ergebnisse bräuchte.
In München verlor Engel klar in der ersten Runde gegen den Ungarn Fabian Marozsan, in Hamburg wirkte er bereits verbessert. Ein Resultat der Arbeit mit Kohlschreiber, 41. „Ich habe schon immer große Schwünge gehabt und dann Probleme bekommen, wenn es schnell wurde“, erklärte Engel: „Wir haben viel am kürzeren Ausholen gearbeitet und versucht, mehr Winkel zu spielen, auch Aufschlagvariationen. Meine Fußstellung hat sich auch total verändert. Mit ihm an meiner Seite habe ich mich auf jeden Fall stark verbessert.“ Und eine gewisse Rampensau-Mentalität kann auch nie schaden. Die hat Engel offenbar, er sagt: „Es macht unglaublich viel Spaß, wenn Leute zuschauen und man sie sogar noch mitreißen kann.“