Zu Ende war die Geschichte, zu Grabe getragen hatten sie die Samp, die eigentlich nie wieder auferstehen sollte. Die Serie C, die dritte Liga, ist ein Ort, von dem große Vereine nicht mehr wiederkommen, heißt es in Italien. Kein Geld, keine Perspektive, Spiele gegen die jugendlichen Zweitvertretungen – am Rande des Amateurfußballs bewegt man sich dort, mehr noch als etwa in der dritten Liga in Deutschland. In diesen tiefen Abgrund also war die stolze Sampdoria Genua hinuntergestürzt, erstmals nach 78 Jahren, gespickt mit Meisterschaften und Europapokaltiteln.
Am vergangenen Dienstag war das, nach einer Niederlage in Castellammare di Stabia, am Golf von Neapel. Das Schlimmste aber sollte bei der Rückkehr nach Hause erst noch folgen: Feierliche Zeremonien hatten da schon begonnen in der Stadt, in der sich ein Rivale die Gelegenheit zur Häme nicht nehmen ließ.
Die Anhänger des CFC Genua, die mit der Sampdoria eine der intensivsten Feindschaften im italienischen Fußball pflegen, veranstalteten tagelang ein Spektakel in der Küstenstadt. Kreuze wurden über die Piazza Principe getragen, Särge unten am Hafen abgestellt, manche Tifosi verkleideten sich als Priester und hielten Prozessionen ab. Böller und Raketen wurden inmitten der Häuserschluchten abgefeuert, die Feuerwehr löschte, wo sie konnte. Aber über Genua hinaus, die ganze ligurische Küste entlang, musste die Samp den Spott über sich ergehen lassen. Brauchtum ist das in dieser Rivalität, es war eine Vendetta, eine Vergeltung für die unzähligen Male, als sich die große Sampdoria in der Vergangenheit über den CFC erhoben hatte – und nun dem Niedergang geweiht war. Bis ihr auf einmal doch eine Hand gereicht wurde.
Die Gazzetta dello Sport berichtete am Sonntagnachmittag zuerst, kurz darauf folgte die offizielle Mitteilung der Liga: „Erdbeben in der Serie B“, hieß es in den Medien, aus der tragischen Geschichte für Sampdoria wurde ein Schauspiel für eine ganze Liga, mit einem weiterhin offenen Ende.
Genua weiß nicht, in welcher Liga die Mannschaft plötzlich spielt. Aber das Team löst sich bereits auf
Vier Punkte, hieß es in der Mitteilung des Sportgerichts, würden dem 15. der Tabelle, Brescia Calcio, abgezogen. Das würde für Brescia den direkten Abstieg bedeuten, für Frosinone Calcio die Rettung, vor allem aber für die Sampdoria den Einzug in ein Playoff-Duell gegen Salernitana. Die für Montag angesetzten Playoff-Spiele jedenfalls wurden abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben, derzeit liegen verschiedene Optionen auf dem Tisch. Sogar eine Erweiterung der Liga auf 26 Teilnehmer für ein Jahr ist nicht ausgeschlossen. Es könnte allerdings einige Zeit vergehen, bis sich der komplizierte Fall vor Gericht klärt, der diesem Chaos zugrunde liegt.
Auslöser waren die Geschäfte des windigen Präsidenten Massimo Cellino in Brescia, einem mehrfach verurteilten Betrüger, der bereits vor zwölf Jahren für veruntreute Gelder im Gefängnis landete und trotzdem in den vergangenen Dekaden in der Oberschicht des europäischen Fußballs verblieb. Cellino wurde wegen seines erratischen Führungsstils in Cagliari einst mangia-allenatori („Trainerfresser“) getauft, kaufte und ruinierte dann in den 2010er-Jahren in England Leeds United und ist nun kurz davor, Brescia in den Abgrund zu stürzen. Steuergutschriften soll er sich erschlichen haben, mithilfe einer Mailänder Firma unter seinem Namen. Ein dubioser Kredit in Höhe von 1,4 Millionen Euro soll eine zentrale Rolle spielen, die Mitarbeiter- und Spielergehälter im Februar dieses Jahres nicht ordnungsgemäß bezahlt worden sein. Viele Details sind unklar in dem Fall, der wohl erst jetzt ans Licht kam, weil die Behörden so langsam arbeiteten.
Vorerst aber gilt die Unschuldsvermutung. Brescia ist gegen das Urteil in Berufung gegangen und hofft zumindest auf eine Reduzierung der Sperre auf nur zwei Punkte, was die Rettung bedeuten würde. Die Tifosi protestieren schon mal: Tausende versammelten sich zum Wochenstart in Brescia auf den Straßen, beschmierten das Trainingszentrum, Cellinos Haus steht unter Polizeischutz. Inzwischen hat sich der Bürgermeister eingeschaltet, um mit den Fans Friedensverhandlungen zu führen. Das Chaos hat sich von einer Stadt in Norditalien in die andere verlagert.
Immerhin, Trainer Alberico Evani ist Sampdoria treu ergeben und will bleiben
In Genua nämlich ist zwischenzeitlich Ruhe eingekehrt. Hier wartet man nun ab, gefangen im Limbo zwischen Hoffnung und Untergang, den man gerade gelernt hatte, zu akzeptieren. Nach dem Abstieg hatte sich die Mannschaft nahezu aufgelöst, nur zweimal wurde noch gemeinsam trainiert, während die Särge durch die Stadt getragen wurden. Im Hintergrund aber liefen die Verhandlungen, um überhaupt die Finanzierung der Serie C hinzubekommen. Der Kader steht vor einem kompletten Umbau, weil der Etat um ein Vielfaches reduziert werden muss, auch wenn sich Medienberichten zufolge erst einmal jemand finden musste, der sich mit den Regularien in der dritten Liga auskannte.
Das alles geschieht nun unter der Regie von Andrea Mancini, der als Sohn des größten Sohnes des Vereins immer schon mit der Samp verbunden war. Sein Vater, der große Stürmer und spätere Nationaltrainer Roberto Mancini, Meister von 1991, soll ohne offizielle Rolle als Berater für seinen Sohn tätig sein. Er spreche als Fan, sagte Mancini am Montag bei einer Preisverleihung im Hafenstädtchen von Portofino, aber: „Wir hätten auf dem Platz eine Chance gehabt, uns zu retten.“ Was jetzt passiert, wisse er genauso wenig wie sonst jemand.
Immerhin, auch der Trainer Alberico Evani, ebenfalls eine Legende aus den erfolgreichen 1990er-Jahren und vor einigen Monaten kurzfristig eingesprungen, soll bleiben. Viele sahen darin bereits eine Art Hoffnungsschimmer, für einen Neuanfang mit den alten Granden am Steuer. „Ich werde immer für Sampdoria da sein“, hatte Evani nach dem Abstieg gesagt, die hingebungsvolle Treue zum Verein in Genua sucht wahrhaftig ihresgleichen.
Es war ein monumentales Glaubensbekenntnis, das Evani da abgab, angesichts der Herausforderungen der Zukunft. Er sagte es im Glauben, nichts könnte die Samp mehr retten. Bis sich die Beerdigung als eine verfrühte Feier herausstellte. Und aus den Totgesagten die Untoten wurden, die zwischen den Ligen auf ihr Schicksal warten.