Arminia Bielefeld will am Samstag im Olympiastadion im Duell gegen den VfB Stuttgart erstmals DFB-Pokalsieger werden. Für einige Berliner ist das Spiel doppelt besonders, sie fühlen sich als Gastgeber für zehntausende Ostwestfalen. Besuch beim Berliner Arminia-Fanklub.
Berlin, Berlin, wir sind schon in Berlin!“ Vor der „Tante Käthe“ in Prenzlauer Berg grölt eine Gruppe von Fans ihre neue Version des bekannten Fangesangs. Es sind die Arminia-Fans-Berlin, ein Sammelbecken für alle, die ihr Herz an Bielefeld verloren haben, aber in der Hauptstadt leben. Die Tante Käthe ist eine kleine Kneipe am Mauerpark, hier schauen sie jedes Spiel ihres Vereins – in guten wie in schlechten Zeiten. Vielleicht auch deshalb lädt ein Schild über dem Eingang zum „betreuten Fußballschauen“ ein.
Davor steht Stefan Hollensteiner, seit 26 Jahren prägt er den Fanklub, mittlerweile als Präsident. Für ihn und seine Mitstreiter geht ein langgehegter Traum in Erfüllung. Es ist das erste DFB-Pokalfinale unter Beteiligung der Arminia, das bisher wichtigste Spiel in der Vereinsgeschichte. Am Samstag geht es im Berliner Olympiastadion im Endspiel gegen den VfB Stuttgart (20.00 Uhr, im Sport-Ticker der WELT).
Für die Hauptstadt-Arminen ist es noch mehr, es ist ein Heimspiel. Für ein Wochenende soll Berlin zum Teutoburger Wald werden.
Hollensteiner steht inmitten von blau-weiß gekleideten Fans – er ist der Mann, der DSC Arminia Bielefeld nach Berlin brachte. Zusammen mit vier weiteren Exil-Bielefeldern hat er den Fanklub im Jahr 1999 gegründet. Damals organisierte er eine Mitfahrzentrale von Bielefeld nach Berlin. „Irgendwann merkte ich: Es gibt mehr Arminen in Berlin, als man denkt“, erzählt der 56-Jährige. „Also schrieb ich mir die Nummern auf und rief alle an, ob wir nicht einen Fanklub gründen wollen.“
Um für andere Ostwestfalen in Berlin sichtbar zu werden, stand für sie schnell fest, dass sie eine Website brauchen. „Jeder gab zehn Mark dazu, um die Internet-Domain www.arminia-fans-berlin.de zu kaufen. So ist unser nicht so spektakulärer, aber suchmaschinenoptimierter Name zustande gekommen.“
Der Arminia-Fan aus Cottbus
Ein sechs Meter langes Banner malte er selbst und hängte es bei Heimspielen auf der Bielefelder Alm auf. „So fanden uns immer mehr Berliner Arminen“, erzählt der 56-Jährige. Waren es am Anfang nur fünf, sind es heute über 120 Mitglieder. Mittlerweile wächst der Fanklub ganz von allein – durch Kneipengespräche, Freundschaften und Mundpropaganda.
Die Tante Käthe ist ein magnetischer Ort für alle Bielefelder die in Berlin ankommen. Seit zehn Jahren schauen sie alle Spiele ihres Vereins dort, in diesem Bungalow mit den blauen Markisen. Zwischen den Fans fällt Holger Müller kaum auf – doch ein Detail seiner Geschichte ist anders: Er ist gar kein Bielefelder, der 60-Jährige kommt aus Cottbus. Blau-Weißer ist er trotzdem mit Leib und Seele. Im Jahr 1981 stieg er auf der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel seines Heimatvereins Energie Cottbus in Magdeburg in einen Interzonenzug, der aus dem Westen in den Osten fuhr, also kurz zuvor die innerdeutsche Grenze passiert hatte.
Üblicherweise wurden diese Züge bei Grenzübertritt ausführlich durchsucht und überprüft. Ob aus Nachsicht oder Nachlässigkeit, einer der Zollbeamten übersah ein „Kicker“-Sonderheft in der Gepäckablage. Unter Holger Müller und seinen Mitfahrern herrschte sofort helle Aufregung: „Wir durften damals ja keine Bundesliga gucken“, erzählt er im brandenburgischen Dialekt seiner Heimat.
Das bunte Heft ging von Hand zu Hand, jeder suchte sich seinen Lieblingsverein aus. „Als das Heft bei mir ankam, war fast nur noch Arminia Bielefeld übrig. Als ich das schöne Vereinslogo auf der Fahne gesehen habe, habe ich Gänsehaut bekommen. Die Arminia hat mich ausgesucht!“ Jahre später entdeckte er das Banner der Arminia-Fans-Berlin auf der Tribüne und kam in die Tante Käthe. Seitdem kennt dort jeder seine Geschichte. Wer die Arminia liebt, der gehört dazu.
Hinter dem Klub liegt eine sensationelle Pokalsaison. Im Laufe der Saison warf der Drittligist zunächst hintereinander Union Berlin, SC Freiburg und Werder Bremen aus dem Wettbewerb. Im Halbfinale schaltete die Elf von Trainer Mitch Kniat dann sogar Doublesieger Leverkusen aus. Vier Bundesligisten im Pokal zu bezwingen – das ist zuvor noch keinem Drittligaverein gelungen. Direkt am Tag nach dem Halbfinalsieg verzeichnete die Deutsche Bahn einen rasanten Anstieg an Buchungen aus Bielefeld nach Berlin: 46.600 Prozent mehr als am Vergleichstag des Vormonats.
„Ganz Bielefeld hat einfach schon gebucht“, kommentierte die Deutsche Bahn die ungewöhnlichen Zahlen auf Facebook. Die Euphorie ist nicht zu bremsen: noch im Vorjahr kämpfte der Traditionsverein gegen den Abstieg aus der dritten Liga, knapp konnte dieser abgewendet werden. In dieser Saison belegt er in der Tabelle den ersten Platz und kann den Aufstieg nun mit diesem unerwarteten Höhepunkt krönen. Für Stefan Hollensteiner und seine Hauptstadt-Arminen bedeutet der Erfolg jetzt viel Arbeit, schließlich fühlen sie sich als Gastgeber für zehntausende Ostwestfalen.
Seit dem Einzug ins Finale ist der Terminkalender des Fanklub-Präsidenten also prall gefüllt: Neben seinem Vollzeitjob als IT-Spezialist organisiert Hollensteiner eine Bootstour für Fans oder lässt 20.000 Exemplare eines Pokal-Reiseführers drucken. In der Tante Käthe organisiert er einen „Abend der Legenden“, die DSC-Größen Ansgar Brinkmann, Arthur Wichniarek und Uwe Fuchs haben sich angekündigt. Dafür arbeitet Hollensteiner bis spät in die Nacht.
Zwei stolze Präsidenten
Dieser Einsatz hat sich bis in die Vereinsführung herumgesprochen. Arminia-Präsident Rainer Schütte weiß, was er an seinem Botschafter in der Hauptstadt hat: „In Berlin so einen aktiven, lauten Fanklub zu haben, ist unfassbar“, sagt er beim Besuch in der Kneipe, „die Tante Käthe ist Kult und für Bielefelder in der Hauptstadt der erste Anlaufpunkt.“
Wenn sie so nebeneinanderstehen, ist den beiden Präsidenten anzumerken, wie euphorisch und stolz sie angesichts der letzten Monate sind: „Jeder träumt natürlich, aber das ist ein großes Fußballwunder! Das kann man nicht planen“, sagt Hollensteiner. Hinter ihm hängt ein Banner, auf dem die Hermannsstatue auf dem Brandenburger Tor steht und eine Arminia-Flagge in den Himmel hält. In den Tagen vor dem Finale hat das Stadtmarketing der Stadt Bielefeld Plakate in der Stadt aufgehängt: „Unterschätzt uns ruhig – haben die Römer auch gemacht!“
Das Finale schauen Stefan Hollensteiner und die meisten seiner Hauptstadt-Arminen im Stadion, gefeiert wird danach wie immer, in ihrem Wohnzimmer am Mauerpark. Für den Verein ist es schon jetzt die erfolgreichste Saison der 120-jährigen Geschichte. Mit dem Aufstieg wird es im kommenden Jahr wieder ein Gastspiel im Olympiastadion geben, wenn es dann in der 2. Bundesliga auswärts gegen Hertha geht. Spätestens dann werden Stefan Hollensteiner und seine Arminia-Fans wieder singen: „Berlin, Berlin, wir sind schon in Berlin!“