Wer Tim Klüssendorf auf sein Alter reduziert, macht einen großen Fehler. Der 33-Jährige ist nicht ohne Grund kurz davor, eines der einflussreichsten Ämter in der SPD auch offiziell zu übernehmen. Derzeit ist er noch kommissarischer Generalsekretär. Ende Juni stellt er sich beim Bundesparteitag zur Wahl – und darf auf ein gutes bis sehr gutes Ergebnis hoffen.
Denn Klüssendorf gilt als Ausnahmetalent in der SPD. Seit 2021 sitzt er im Bundestag, gewann bei der Bundestagswahl im Frühjahr gar das Direktmandat in seiner Heimat Lübeck. Als einziger Sozialdemokrat in Schleswig-Holstein. Das macht Eindruck in der SPD, die mit 16,4 Prozent das historisch schlechteste Ergebnis bei einer bundesweiten Abstimmung eingefahren hatte.
Insbesondere von Parteichef Lars Klingbeil, der nun auch Vizekanzler und Finanzminister ist und viel Macht auf sich vereint, blieb das nicht unbemerkt. Klingbeil setzt bei der von ihm mitunter hart durchgesetzten, personellen Neuaufstellung der Partei auf Menschen wie Klüssendorf, die viel Rückhalt aus ihren Wahlkreisen mitbringen. Die designierte Co-Parteichefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas ist ein weiteres Beispiel, auch sie bringt ein Direktmandat aus Duisburg mit und soll Saskia Esken an der Spitze ablösen. Klingbeil selbst errang in seiner niedersächsischen Heimat das beste SPD-Erststimmenergebnis bundesweit.
Dass Tim Klüssendorf noch einen weiten Weg vor sich haben dürfte in der SPD, wurde früh klar. Er ist Parteilinker und arbeitete sich in der Fraktion bereits in seiner ersten Wahlperiode zum Sprecher der Parlamentarischen Linken hoch, einer mitgliederstarken Strömung in der SPD-Bundestagsfraktion. Er folgte in dieser Funktion auf Matthias Miersch, der im vergangenen Jahr kurzerhand Generalsekretär wurde, nachdem sich Kevin Kühnert aus privaten Gründen aus der Bundespolitik verabschiedet hatte. Nun wird Klüssendorf wieder auf Miersch folgen und nach dem Parteitag auch offiziell als Generalsekretär Teil der SPD-Parteispitze sein. Miersch ist jetzt Chef der SPD-Bundestagsfraktion.
Damit hat Klüssendorf bereits eine Blitzkarriere in der Partei hingelegt. Der begeisterte Fußballer weiß das. Manchmal ist es ihm aber etwas anzumerken, dass er sich an die vielen Kameras, das grelle Scheinwerferlicht und die Medienaufmerksamkeit noch gewöhnen muss. Doch zugleich tritt er mit einer Selbstsicherheit und einem rhetorischen Feinschliff auf, die manch gestandenem, langjährigem Parlamentarier nicht gegeben sind. Klüssendorf schafft es, Positionen der SPD klar und auf den Punkt zu artikulieren, ohne Halt in abgedroschenen Phrasen zu suchen.
Zur SPD kam er über das politische Engagement in Lübeck. Wie der Sohn aus einer Handwerkerfamilie dem NDR sagte, meldete er sich 2007 von seinem Laptop bei der SPD an, den er von seinen Eltern zur Konfirmation bekommen hatte. Der Kampf gegen rechts, gegen Neonazi-Demos trieb ihn an. Und er wollte einstehen für seine Freunde aus der Schule und dem Fußballverein, die einen Migrationshintergrund hatten. Wie Klingbeil, der sich einst ebenfalls gegen Neonazis in seiner Heimat engagiert hatte und so zur SPD gekommen war. Klüssendorf leistete nach dem Abitur einen Bundesfreiwilligendienst, studierte dann Volkswirtschaft in Hamburg und Betriebswirtschaft und schloss das Studium mit einem Master ab.
Das politische Geschäft lernte er früh auf der kommunalen Ebene. Er war bei den Jusos aktiv, stieg 2010 zum Juso-Vorsitzenden in Lübeck auf. Klüssendorf wurde 2013 in die Lübecker Bürgerschaft gewählt, arbeitete später als Wahlkampfmanager für den dortigen Bürgermeister Jan Lindenau. 2021 tat sich für ihn die Chance auf ein Bundestagsmandat auf, Klüssendorf überzeugte und zog beim großen SPD-Triumph mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz ins Parlament ein.
Jetzt geht er in die Vollen. Muss er auch, denn die Aufgabe, die auf ihn wartet, ist enorm. Die SPD steht mit dem historisch schlechtesten Ergebnis am Abgrund, muss ein Rezept für neue Erfolge finden. Nicht nur im Bund, auch bei Kommunal- und Landtagswahlen. Klingbeil verordnete der SPD einen Generationswechsel, den Klüssendorf bestens verkörpert. Doch auch intern sind die Aufgaben groß, schließlich muss er künftig Kampagnen und die Parteizentrale leiten. Nicht einfach, weil die künftige Doppelspitze der Co-Vorsitzenden Lars Klingbeil und Bärbel Bas mit ihren Regierungsämtern viel beschäftigt sein wird. Dass er das Zeug dazu hat, davon ist Klingbeil überzeugt. Er band den unerschrockenen Parlamentarier sogleich bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union ein.
Und Klüssendorf kündigte bereits an, in seiner neuen Rolle Klartext sprechen und das Profil der Sozialdemokraten schärfen zu wollen. „Ich glaube, es geht vor allem darum, die SPD inhaltlich neu aufzustellen, sie auch mit einem kommunikativen Ansatz zu versehen, der attraktiver ist“, sagte er jüngst in der ARD. SPD-Chef Lars Klingbeil habe ihn sicher nicht als Generalsekretär ausgewählt, um die SPD „cool“ zu machen. „Die SPD ist per se cool, aber natürlich durch Inhalte“, so Klüssendorf. Dem Amt begegnet er jedenfalls mit viel Respekt und Demut, wie er sagt. Und einer guten Portion Vorfreude und Spaß. Auch das ist ihm anzumerken.