
Kinder sind weniger fit als sie sein sollten. Rund 90 Prozent der Mädchen und 80 Prozent der Jungen erreichen die von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlene Bewegungszeit von mindestens 60 Minuten am Tag nicht. Umso schwerer wiegt es, wenn Sportunterricht häufig ausfällt. Denn Sport und Bewegung sind elementar für Gesundheit, Konzentration und soziales Miteinander.
Doch selbst wenn Unterricht stattfindet, mögen ihn viele Kinder nicht: zu viel Leistungsdruck, zu wenig Abwechslung. Dabei gibt es Konzepte, die mehr Bewegung in den Schulalltag bringen – und auch noch Spaß machen.
Die Kultusministerkonferenz empfiehlt „in der Regel drei Unterrichtsstunden“ Sport – wöchentlich. Die Realität sieht oft anders aus. Zum Beispiel in Berlin: Dort sind nur in einem Bezirk alle Sporthallen nutzbar. In den übrigen gibt es teils gravierende Einschränkungen. Baufälligkeit, Sanierungsstau oder Fremdnutzung führen dazu, dass Unterricht ausfällt oder lange Wege zu Ausweichhallen notwendig sind. Mitunter wird draußen Sport unterrichtet – auch im Winter, wie Landesschülersprecher Orcun Ilter berichtet. Sein Sportunterricht findet erst ab 18 Uhr statt, wegen der vielen anderen Klassen.
Ein weiteres Beispiel: In Köln ergab eine Bestandsaufnahme, dass 80 Prozent der Sportstätten dort deutliche oder schwerwiegende Mängel aufweisen. In einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik gaben 59 Prozent der Kommunen an, dass der Investitionsrückstand bei Sporthallen „gravierend“ oder „nennenswert“ sei. Bei Hallenbädern sagten dies 62 Prozent. Auf 31 Milliarden Euro schätzt der Deutsche Olympische Sportbund den Sanierungsstau.
Bauliche Defizite sind das eine, Lehrkräftemangel das andere Problem. Es falle deshalb viel Unterricht aus, betont der Sportwissenschaftler Daniel Möllenbeck. Er spricht von einer „Krise“ des Schulsports – und von einer „schleichenden Deprofessionalisierung“. Immer mehr Personal sei fachfremd und nicht so ausgebildet wie gewünscht.
In der Regel fänden die im Lehrplan vorgesehenen Sportstunden statt, versicherten 2024 die meisten der 16 Kultusministerien der Länder auf Dlf-Anfrage. Man werde dem Lehrauftrag Erziehung durch und zum Sport gerecht. In welchem Umfang Sportunterricht jedoch ausfällt, wird von den einzelnen Bundesländern gar nicht separat erhoben.
Wie fit Kinder in Deutschland sind, dazu liegen nach Angaben der Sportmedizinerin Christine Joisten von der Deutschen Sporthochschule in Köln seit der Pandemie keine repräsentativen Daten vor. Es sei aber ein Trend der vergangenen zehn bis zwanzig Jahre, dass die klassischen Parameter für Fitness – Koordination und Ausdauer – deutlich abnähmen. Es werde 2025 wohl auch nicht besser werden.
Ein Befund, den die Berliner Schulleiterin Karina Jehniche bestätigt: „Die Erstklässler, die wir einschulen, haben fast alle körperlich-motorische Defizite.“ Manche Kinder seien „noch nie“ eine längere Strecke gelaufen.
Dabei ist Bewegung entscheidend für die Gesundheit. Bereits Kinder und Jugendliche profitieren physisch und psychisch von sportlicher Aktivität, so die HBSC-Studie. Belegt sei der vorbeugende Effekt für chronische Erkrankungen wie Diabetes Typ II, Herzinfarkt und Darmkrebs. „Bewegte“ Kinder werden demnach mit höherer Wahrscheinlichkeit auch zu „bewegten“ Erwachsenen.
Die Sportmedizinerin Christine Joisten weist darüber hinaus auf die guten „Nebenwirkungen“ von Sport hin – wie das soziale Miteinander, bessere Konzentration und ein angenehmeres Klassenklima.
Bewegung soll Spaß machen. Doch viele Kinder mögen Sportunterricht nicht sonderlich. Ein Grund dafür ist der Leistungsdruck. Aus einer Umfrage des Online-Reportermagazins „Krautreporter“ ging hervor: 80 Prozent derer, die Schulsport als belastend und in vielen Situationen sogar als beschämend und demütigend empfanden, haben auch später in ihrem Leben keine Freude an Sport und Bewegung. Das heißt auch: Sie leben weniger gesund.
Christine Joisten von der Deutschen Sporthochschule Köln warnt vor zu viel Druck durch Noten. Es sei wichtig, auch die „Anstrengungsbereitschaft“ zu sehen. Zu lernen: Ich kann mich verbessern – und das ist auch etwas wert für meine Gesundheit, sei etwas sehr Wertvolles.
Vielfach ist Unterricht noch an klassischen Sportarten orientiert, was ebenfalls nicht zur Beliebtheit beiträgt: Ballspiele, Geräteturnen und Leichtathletik stehen auf dem Lehrplan. Bock und Stufenbarren, Reck und Pferd, Laufen, Springen, Werfen, Stoßen, Liegestütze und Klimmzüge, Hangeln und Klettern – all das spielt weiter eine große Rolle. Doch manche Schülerinnen und Schüler wünschen sich, dass zum Beispiel auch einmal Tanzen möglich ist und Kreativität oder Choreografie bewertet werden.
Schüler, Eltern und Lehrkräfte haben sich dafür engagiert, dass es auf dem Schulhof Basketball-Körbe, Tore und eine Kletterwand gibt. Das Geld für Tischtennisplatten, Schläger, Bälle und andere Ausstattung stammt teils von Unternehmen, teils haben es die Kinder von ihren Eltern und Verwandten durch Sponsorenläufe „erlaufen“.
Selbst im Unterricht gibt es Hand- und Beinübungen zur Auflockerung. Sportmedizinerin Joisten unterstreicht, wie nützlich das ist: Wenn es bei einem Sechs-Stunden-Schulvormittag nach jeder Unterrichtseinheit fünf Minuten Bewegungspause gäbe, wäre bereits die von der WHO empfohlene Zeit zur Hälfte integriert.
In der Nachmittagsbetreuung könnten den Kindern darüber hinaus Sportarten nahegebracht werden, die im regulären Sportunterricht nicht stattfinden könnten. Es wäre „wunderbar“, so Joisten, wenn der Schulhof auch am Wochenende als Spiel- und Bewegungsort offen wäre. Auch Transportwege zur Schule hält sie für ein wichtiges Kriterium: Können die Kinder zu Fuß kommen oder mit dem Fahrrad?
Bewegung müsse in der Schule gelebt und gelernt werden, betont die Medizinerin. So werde auch für spätere Eltern das Bewusstsein dafür geschärft, mit ihren Kindern aktiv zu sein.
Denn eines sei auch klar: Es werde viel mehr Zeit im häuslichen und familiären Umfeld verbracht. Wichtig seien die Eltern als Rollenvorbilder.
bth