
Bei den Afghaninnen und Afghanen, die in Pakistan festsitzen, handelt es sich teils um Menschrechtsaktivisten, teils um ehemalige Ortskräfte, die die Bundeswehr unterstützt haben. Jetzt könnten sie aus Pakistan zurück nach Afghanistan abgeschoben werden. In ihrer Heimat droht ihnen Gefahr vonseiten der Taliban.
In Deutschland läuft seit Monaten eine Debatte über ihr weiteres Schicksal. Vor allem Unionspolitikerinnen und -politiker wollen die Menschen nicht mehr aufnehmen. Die noch amtierende Bundesregierung hat die Aufnahmeflüge gestoppt.
Kann eine Regierung ihre Zusagen einfach zurücknehmen? Und was wird dann aus den Betroffenen?
Unter den etwa 2600 Afghaninnen und Afghanen, die trotz Aufnahmezusage aktuell nicht nach Deutschland fliegen dürfen, sind vor allem Personen, die als besonders gefährdet durch die Taliban gelten. Sie haben sich vor der Machtübernahme für Menschen- und Frauenrechte eingesetzt oder waren in der Justiz, Politik oder der Medienbildung tätig.
Außerdem gehören sogenannten Ortskräften dazu. Sie waren für die Bundeswehr oder deutsche Entwicklungsorganisationen tätig. Auch sie werden in ihrer Heimat potenziell von den Taliban bedroht und verfolgt.
Etwa 36.300 als besonders gefährdet eingestufte Personen sind seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 im Rahmen der verschiedenen Aufnahmeprogramme aus Afghanistan eingereist. Zu den Aufnahmeprogrammen gehören das Ortskräfteverfahren, das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan, die Menschenrechtsliste und das Überbrückungsprogramm. Über das Ortskräfteverfahren sind 20.800 Personen nach Deutschland gekommen.
Die Biografien der Menschen, die sich bei den freiwilligen Aufnahmeprogrammen der Bundesregierung beworben haben, werden aufwendig überprüft, bevor sie eine Zusage erhalten.
Dabei wird in Deutschland recherchiert, ob Einträge über mögliche Taliban-Aktivitäten oder Ähnliches vorhanden sind, was gegen eine Zusage spricht. In Pakistan finden dann intensive Befragungen der Bewerberinnen und Bewerber seitens verschiedener deutscher Sicherheitsbehörden statt, darunter Verfassungsschutz, Bundespolizei und Bundeskriminalamt.
Die Aufnahmezusagen sind Verwaltungsakte und damit rechtlich verbindlich. Nicht nur für die Betroffenen allein, sondern insbesondere auch für den deutschen Staat.
Die Aufnahmezusagen stehen unter einem sogenannten Widerrufsvorbehalt. Das heißt, der deutsche Staat hat zwar die Möglichkeit, die Aufnahmezusage zu widerrufen.
Aber dafür muss der deutsche Staat triftige Gründe haben – zum Beispiel, dass die betreffende Person nicht mehr gefährdet ist. Auch sicherheitsrechtliche Informationen über eine Person, die gegen ihre Aufnahmezusage sprechen, sind relevant. Die betroffenen Personen bei einem Widerrufsverfahren angehört werden. Sie müssen die Möglichkeit haben, Stellung zu nehmen.
Eine einfache Rücknahme einer Zusage ohne jegliche Grundlage ist nicht möglich. Dann drohen Klageverfahren, mit denen sich die Verwaltungsgerichte auseinandersetzen müssen.
Es wird politisch schon länger über das weitere Schicksal der Afghaninnen und Afghanen debattiert. Kurz vor der Bundestagswahl hatte das Innenministerium zwei Charterflüge kurzfristig abgesagt – offiziell aufgrund von logistischen Problemen. Dabei war der Verdacht laut geworden, dies könne mit der bevorstehenden Wahl zu tun gehabt haben. Inzwischen hat die noch amtierende Regierung die Aufnahmeflüge aus Afghanistan gestoppt und betont, dass die kommende Regierung über den weiteren Umgang mit den gegebenen Aufnahmezusagen zu entscheiden habe.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, hat angekündigt, dass die neue Bundesregierung prüfen will, inwiefern die bereits gemachten Zusagen zurückgenommen werden können. Der CDU-Bundes- und Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz hatte schon im Bundestagswahlkampf einen sofortigen Stopp der Aufnahmeflüge gefordert. CDU-Vize-Fraktionschef Jens Spahn bezeichnete die Aufnahmezusagen als „das größte AfD-Unterstützungsprogramm“, und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte, keiner dieser Flüge müsse jetzt stattfinden.
Im Koalitionsvertrag der künftigen schwarz-roten Regierung steht sinngemäß, dass möglichst keine Menschen mehr aus den Programmen aufgenommen werden sollten und es künftig keine vergleichbaren Programme mehr geben soll. Matthias Lehnert, Anwalt im Migrationsrecht, sagte dazu: „Man kann davon ausgehen, dass jetzt überprüft wird, wen man wirklich noch aufnehmen muss oder wo man vielleicht noch irgendeine Möglichkeit findet, das nicht zu tun.“ Gar keine Menschen mit Zusage mehr ins Land zu lassen, hält Lehnert aus juristischer Perspektive für schwierig.
Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann verweist dagegen auf die rechtlichen Verpflichtungen, die die Bundesregierung eingegangen ist. Wir können nicht „weil die Kretschmers oder die Spahns der CDU/CSU denken, das stellen wir jetzt gerade mal eben ein, aus dieser rechtlich verbindlichen und – aus meiner Sicht – der Humanität und Menschlichkeit gebotenen Situation einfach aussteigen“, so Haßelmann.
Die Menschen, die aktuell mit ihren Aufnahmezusagen in Pakistan festsitzen, sind in einer desolaten Lage: Wegen der Zusagen aus Deutschland haben viele von ihnen ihre Wohnungen oder Häuser verkauft, um sich das nötige Geld zu beschaffen, Pässe zu bekommen und die Reise finanzieren zu können. Sie haben ihr Leben in Afghanistan in Vertrauen auf die deutsche Bundesregierung zurückgelassen und sind nach Pakistan gegangen. Wenn Deutschland seine Aufnahmezusagen zurücknimmt, sitzen die Betroffenen in Pakistan auf der Straße.
Den Gegnern ihrer Aufnahme in Deutschland spielt womöglich die Zeit in die Hände: Pakistan schiebt aktuell im großen Stil Menschen nach Afghanistan ab. Zehntausende Geflüchtete mussten das Land bereits verlassen.
pj