Der Verleger Holger Friedrich hat mit dem Berliner Verlag die „Die Weltbühne“ wiederbelebt. 1905 von Siegfried Jacobsohn unter dem Titel „Die Schaubühne“ gegründet, reüssierte die Zeitschrift in den Zwanzigerjahren unter der Leitung von Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky als Blatt der bürgerlichen Linken. Von den Nazis 1933 verboten, erstand die „Weltbühne“ nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR, sie hielt sich bis nach der Wende, 1993 wurde sie eingestellt.
Wer sind die „Kriegstreiber“? Putin ist es hier nicht
Zur Wiedergeburt, für die sich Holger Friedrich die Verlagsrechte bei Bernd Lunkewitz beschafft haben soll, stellt sich „Weltbühne“ als „Labor für neue Ideen“ vor. In welche Richtung die „neuen Ideen“ weisen, beschreiben die beiden Redaktionschefs Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani in ihrem Vorwort. „In einer Gegenwart“, schreiben sie, „die Pazifisten wieder verlacht, Rüstung zur Investition umdeklariert und Diplomatie als Appeasement schmäht, behaupten die neuen Kriegstreiber, mit ihrem Handwerk für die Freiheit zu kämpfen. Die Weltbühne, die neue wie die alte, hält dagegen: Sie kämpft mit der Freiheit gegen den Krieg.“
Wie das gemeint ist, dünkte einem angesichts der dem Regime in Moskau zugeneigten Blattlinie der „Berliner Zeitung“, der Vorgeschichte des Verlegers (Ex-Stasi-IM) und jener des Blattmachers Fasbender, der lange für Russia Today arbeitete, schon. Im folgenden Artikel von Daniela Dahn, der die wechselvolle Geschichte der „Weltbühne“ darlegt, bekommt man es bestätigt. Da warnt sie etwa vor der „geistigen Mobilmachung und dem folgenden Massenwahn“. Sie bezweifelt, dass „der russische Bär . . . in Kürze nun tatsächlich zähnefletschend vor der westlichen Tür stehen wird“. Das sei doch sehr unwahrscheinlich mangels einer entsprechenden Drohung und einer Armee, die „größte Schwierigkeiten“ habe, in der benachbarten Ukraine „von Dorf zu Dorf alle russischsprachigen Oblaste zu besetzen“. Eine solche Armee, meint Dahn, „dürfte weder die Motive noch die Fähigkeiten haben, im Konflikt mit der nach Rüstungsausgaben zehnfach überlegenen Nato deren Verteidigungsfall auszulösen“. Zynischer und blinder kann man den Vernichtungskrieg gegen die Ukraine und das Kriegstreiben des Moskauer Regimes kaum beschreiben.

Hinterhältig ist der Artikel, den Deborah Feldman über den Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“, Philipp Peyman Engel, für die „Weltbühne“ geschrieben hat und den der Berliner Verlag groß vermarktet. Sie vergleicht Engel mit Fabian Wolff, einem linken „Juden“, der plötzlich feststellen musste, dass er gar kein Jude ist. Von einem „Familienmitglied Engels“ will Feldman erfahren haben, dass seine „Kernfamilie“, die aus Iran stammt, „innerhalb der Verwandtschaft immer als Angehörige der Bahai-Gemeinde wahrgenommen worden“ sei. (Das Bahaitum ist eine im 19. Jahrhundert gegründete, universalistische Glaubensgemeinschaft, die in Ländern des Nahen Ostens, wie andere Religionen, diskriminiert wird). Ellahe Engel-Yamini, Philipp Peyman Engels Mutter, sei „bis in die 90er-Jahre offizielles Mitglied der Gemeinde gewesen“, berichtet Feldman und wundert sich über die „auffällige Konstruierung seiner Biografie“.
Engel: eine „Rufmordkampagne“
Zu der vermeintlichen „Konstruktion“ sagt Philipp Peyman Engel auf Anfrage, Deborah Feldman habe vor Wochen „auf Social Media Andeutungen“ gemacht, „die mein Jüdischsein in Zweifel zogen. Dagegen bin ich damals anwaltlich vorgegangen. Daraufhin löschte sie ihren Post und erklärte, sie habe gar nicht mich gemeint.“ Nun ziehe sie „erneut meine Jüdischkeit und die meiner Mutter in Zweifel. Dieses Verhalten ist für mich nicht mehr nachvollziehbar und zeigt, dass Deborah Feldman eine Rufmordkampagne gegen mich betreibt, die niemand mehr ernst nehmen kann. Meine Mutter ist nach jüdisch orthodoxem Verständnis durch Geburt zweifelsfrei jüdisch. Ich bin nach jüdisch orthodoxem Verständnis durch Geburt ebenfalls zweifelsfrei jüdisch.“ Das habe er Deborah Feldman vor der Veröffentlichung auch so mitgeteilt. Es sei „nicht das erste Mal, dass Frau Feldman solch eine Kampagne mit unwahren Unterstellungen gegen eine jüdische Person betreibt, die eine andere Meinung als sie vertritt und die sie kritisch hinterfragt“. Er sei entsetzt, „dass ihr der Berliner Verlag dafür eine Bühne bietet“.
Über Nachweise seiner jüdischen Abkunft verfügt Engel, angefangen bei der Bestätigung, dass seine Mutter 1994 in die jüdische Gemeinde in Dortmund eintrat, bis hin zur Bestätigung der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands und des Europäischen Orthodoxen Oberrabbinats, das bestätigt, dass sowohl Philipp Peyman Engel als auch seine Mutter jüdischer Herkunft sind.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland erklärte, Deborah Feldman verbreite „unwahre Behauptungen“ über den Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“. In ihrem Artikel in der „Weltbühne“ und in Posts auf Social Media ziehe sie Engels „jüdische Identität in Zweifel. Diese Zweifel entbehren jeder Grundlage“. Es sei „nicht das erste Mal, dass Feldman mit einer Diffamierungskampagne gegen Personen vorgeht, die ihr unliebsame Meinungen vertreten. Die jüdische Herkunft Engels und die seiner Mutter von Geburt an sind zweifelsfrei durch Unterlagen nachgewiesen – worüber Frau Feldman vor Veröffentlichung informiert wurde. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, als Herausgeber der Jüdischen Allgemeinen, steht zu 100 Prozent hinter Philipp Peyman Engel.“ Der jüdische Verein „Werte-Initiative“ äußerte sich ähnlich. Deborah Feldmans Behauptungen über Philipp Peyman Engel seien „nicht nur falsch, sondern diffamierend“. Dessen jüdische Herkunft und die seiner Mutter seien „eindeutig dokumentiert“, Feldman sei darüber „vor ihrer Veröffentlichung nachweislich informiert“ gewesen. Dennoch verbreite sie „unbelegte Zweifel – offenbar in dem Bestreben, eine der profiliertesten jüdischen Stimmen in Deutschland zu delegitimieren“.
Berliner Verlag: „mit keinem Wort“
Fragt man beim Berliner Verlag und bei Holger Friedrich nach, heißt es, Deborah Feldman habe Philipp Peyman Engels Jüdischsein gar nicht angezweifelt – „mit keinem Wort“. Die Herausgeber der „Weltbühne“ stünden „zu 100 Prozent“ hinter ihrer Autorin. „Chat-Protokolle und andere Dokumente“ belegten, „dass Engels Mutter und ihre Kernfamilie sowohl lange Zeit im Iran als auch später fast drei Jahrzehnte lang in Deutschland als Angehörige der Bahai-Religion bekannt waren und wahrgenommen wurden“. Das stehe, wie die Autorin betone, „nicht notwendig im Widerspruch zu einer jüdischen Herkunft“, werde aber in Engels Autobiographie „gänzlich ausgelassen“.
Wer Feldmans Text liest, wird an dieser Erklärung seine Zweifel haben. Die Autorin bedient sich der Technik des Andeutens und Nicht-gesagt-haben-Wollens. Sie schreibt von „Wahrnehmung“, blendet Tatsachen aber aus. Am Ende tut sie in vergiftet freundschaftlichem Ton sogar so, als sei das im Sinne Engels. Mit Journalismus hat das nichts zu tun. An dieser „Weltbühne“ hätten Tucholsky und von Ossietzky keine Freude.