Noch in den ersten Tagen seiner Amtszeit reist Bundeskanzler Merz mit weiteren Regierungschefs nach Kiew und fordert von Russland wuchtig eine Waffenruhe – Drohungen inklusive. Doch das Telefonat zwischen US-Präsident Trump und Russlands Machthaber Putin stellt die europäische Initiative bloß.
„Deutschland ist zurück auf der Weltbühne“, sollte dieses Bild ausdrücken: Bundeskanzler Friedrich Merz zusammen mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dem britischen Premier Keir Starmer und Polens Regierungschef Donald Tusk im Zug nach Kiew. Gemeinsam forderten sie eine 30-tägige Waffenruhe von Russland, drohten Moskau andernfalls mit einer härteren Gangart – und bekamen via Telefon scheinbar die Unterstützung von US-Präsident Donald Trump für ihr Vorgehen. Doch was nach einer neuen diplomatischen Initiative, nach einem kraftvollen Anlauf für eine Beendigung des Krieges aussah, entpuppt sich binnen weniger Tage als wirkungslos.
US-Präsident Donald Trump und der russische Machthaber Wladimir Putin telefonierten am Montag volle zwei Stunden. Von einer baldigen Waffenruhe war nachher nicht die Rede. Zehn Tage nach Merz‘ Ukraine-Visite bombt Russland unvermindert weiter, startete zu Wochenbeginn gar den bislang größten Drohnenangriff auf die Ukraine. US-Präsident Trump zeigte sich zwar zufrieden über das Telefonat, weil Russland weiteren Friedensverhandlungen zugestimmt habe. Aber alles deutet darauf hin, dass Putin den amerikanischen Staatschef weiter an der Nase herumführt: Putin ist weiterhin nur zu Scheinzugeständnissen bereit, die ihm eine Fortsetzung des Tötens und Zerstörens ermöglichen.
Für Merz und die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs, die die Ukraine weiter unterstützen wollen, ist das mehr als ernüchternd. Sie können – müssen sogar – nun ihre Drohungen wahr machen und die Daumenschrauben wie angekündigt anziehen, weil die geforderte Waffenruhe ausgeblieben ist. Dass zusätzliche europäische Sanktionen Putin tatsächlich Schmerzen bereiten könnten, muss angesichts der bisher bekannten Pläne bezweifelt werden. Die Europäische Union und ihre Partnerländer müssen ihr Blatt zeigen und es enthält keine Asse – wie es sich der Kreml längst ausgerechnet hatte und was auch Merz hätte wissen müssen.
Schmerzhafte Sanktionen, die Russland zu ernsthaften Schritten in Richtung Waffenruhe bewegen könnten, gehen nicht ohne Washington. Würden die USA auch alle Länder und ausländische Unternehmen sanktionieren, die weiter am Handel mit russischem Gas, Flüssiggas, Kohle und Öl beteiligt sind, hätte Putin womöglich ein Problem. Doch er schafft es offenkundig immer wieder, Trump von solch einem Schritt abzuhalten. Der Einfluss des Kreml-Obersten auf den US-Präsidenten ist – so bitter das ist – größer als der des geeinten Europas zusammen. Das zeigt sich auch an Trumps öffentlichen Äußerungen: Während er Lobeshymnen über sein angeblich gutes Verhältnis zu Putin singt, pöbelt er regelmäßig gegen die EU und ihre Institutionen.
Soll von Friedrich Merz‘ Kiew-Reise also mehr bleiben als schöne Auftaktbilder, kommt er um eine weitere Reise nicht herum. Und die muss in die USA führen. Oder der US-Präsident muss nach Deutschland kommen. Wenn es den europäischen Regierungen nicht gelingt, Trump aus Putins manipulativen Klauen zu befreien, wird das Sterben weitergehen. Sollte Deutschland unter Bundeskanzler Merz tatsächlich – wie vollmundig angekündigt – „zurück auf der Weltbühne“ sein, geht die Arbeit für den neuen Regierungschef in Berlin jetzt erst richtig los.