Bodo von Borries (Bereichsleiter beim Verband
Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe, Venro) und PD Dr. Julia Leininger
(Abteilungsleitung am German Institute of Development and Sustainability, Idos)
sind Co-Vorsitzende des Beirats Zivile
Krisenprävention und Friedensförderung der Bundesregierung.
Die
Lösung drängender Probleme im Inneren ist ohne Sicherheit im Äußeren nicht denkbar. Die neue Bundesregierung hat zwei
umstrittene Ansatzpunkte: Zum einen soll eine eklatante Erhöhung der
Verteidigungsausgaben auf insgesamt fünf Prozent der deutschen Wirtschaftskraft mehr
Sicherheit in Deutschland garantieren. Zum anderen will Bundeskanzler Friedrich Merz erstmals in der
Geschichte der Bundesrepublik einen nationalen Sicherheitsrat einrichten. Der
soll aus dem Kanzleramt heraus für mehr Abstimmung zwischen Ministerien und
Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern sorgen. Ob ein solcher Rat die eingefahrenen
Entscheidungsstrukturen deutscher Außen-, Verteidigungs- und
Entwicklungspolitik wirklich nachhaltig ändern kann, wird von vielen noch
skeptisch gesehen. Diese schwere Aufgabe kommt Jacob Schrot zu, der zu Merz‘ Zeit als Fraktionsvorsitzender dessen Büroleiter war. Nun soll er den geplanten Stab des nationalen Sicherheitsrats leiten.
Dass
der Sicherheitsrat jetzt kommt, ist im Prinzip eine gute Sache, birgt aber auch
die Gefahr, die politische Debatte zu verengen. Sie kreist zurzeit einseitig darum,
wie Verteidigung finanziert und wie „kriegstüchtig“ Deutschland werden kann (Boris
Pistorius). Diese Verengung auf militärische Wehrhaftigkeit ist aus unserer
Sicht zu kurzfristig gedacht. Wenn innere und äußere Sicherheit zukünftig Hand
in Hand gehen sollen, muss im nationalen Sicherheitsrat über beides nachgedacht
werden: wie man Deutschland wehrhaft macht. Und wie es friedensfähig wird.
In der Ukraine wiegen zivile Fragen so schwer wie militärische
Am
Beispiel der Ukraine lässt sich das illustrieren: Zu ernsthaften Verhandlungen
zwischen Russland und der Ukraine kann es erst kommen, wenn die realen und
wahrgenommenen militärischen, wirtschaftlichen und sozialen Kriegskosten auf
russischer Seite überwiegen. Das ist auch die Voraussetzung für einen echten
Waffenstillstand mit Sicherheitsgarantien für die Ukraine.
Zivile
Fragen wiegen daher genauso schwer wie militärische Kräfteverhältnisse. Der
Wiederaufbau der Ukraine hat bereits begonnen, beispielsweise mit deutscher
Unterstützung in der Energieversorgung. Um nachhaltigen Frieden zu schaffen,
braucht es so viel mehr. Wer würde einen Waffenstillstand überwachen, auch um das
Vertrauen der Bevölkerung in ein Ende der Gewalt zu stärken? Wie gehen
ukrainische und russische Gesellschaften mit den verübten Kriegsverbrechen um, und wer
unterstützt sie dabei? Welche Verantwortung und Zusagen für den Wiederaufbau
übernehmen die neue Bundesregierung und die EU? Wie können schwere
Kriegstraumata behandelt und Geflüchtete wieder reintegriert werden? Welche
wirtschaftliche Entwicklung ist gerade in zerstörten Gebieten möglich? All
diese Fragen müssen schon jetzt mitgedacht – und in möglichen
Verhandlungen thematisiert werden.
Um
diese Fragen zu beantworten, braucht die neue Bundesregierung Personal, das Ideen entwickelt und diese Ideen international abstimmt. Und
die Bundesregierung müsste Geld dafür zur Verfügung stellen. Zumal Ähnliches
ganz allgemein für die äußere Sicherheit gilt – beim Wiederaufbau in Syrien, einer dauerhaften Regelung für Gaza und die Westbank im Sinne der Zweistaatenlösung, bei einer Unterstützung zur Stabilisierung im Jemen, in Libyen
oder im Sudan. Und damit ist es nicht getan. Massive Klimaveränderungen,
Cyberattacken oder Pandemien bedrohen die Sicherheit weltweit und in
Deutschland ebenso wie konventionelle militärische Sicherheitsrisiken. Die gute
Nachricht ist: Hiergegen helfen Präventionsmaßnahmen. Und die kosten viel
weniger, als Krisen zu managen, wenn sie schon eingetreten sind. Verschiedene
Studien gehen von einem Faktor von 1 : 4 bis 1 : 11 aus.
Deutschland sollte sich auf seine zivilen Stärken besinnen
Weltweit
geht der Trend aber in eine andere Richtung. 2024 haben Staaten laut dem
Stockholm International Peace Research Institute ihre Militärausgaben auf 2.718 Milliarden US-Dollar gesteigert. Das sind 9,3 Prozent mehr als 2023. Mehr militärische
Verteidigung bedeutet, an anderer Stelle zu kürzen. Das trifft auch Krisenprävention
und Friedensförderung, die zu den öffentlichen Entwicklungsausgaben zählen.
Insgesamt sanken die gesamten Entwicklungsausgaben 2023 um sieben Prozent auf
insgesamt 212 Milliarden US-Dollar, nicht einmal ein Zehntel der globalen Militärausgaben.
Diese Zahlen werden im kommenden Jahr noch drastischer schrumpfen.
Denn dann schlagen die radikalen Streichungen der USA zu Buche. Dort macht
Außenminister Marco Rubio der Krisenprävention und Friedensförderung den Garaus. Er
stellt wichtige Programme ein, zum Beispiel zur Erkennung von drohenden Krisen,
Minenentschärfung in ehemaligen Kriegsgebieten und nicht zuletzt große Teile
der humanitären Hilfe, die Menschen in Krisenregionen das nackte Überleben
sichert. In Großbritannien, den Niederlanden oder Schweden beobachten wir
Ähnliches. Diesem Trend sollte die neue Bundesregierung nicht folgen.
Die
Erwartungen an Deutschland als globalen Akteur sind weltweit riesig. Um in
diese Rolle hineinzuwachsen, haben vergangene Bundesregierungen bereits wichtige
Weichen gestellt. 2023 hat die Ampelregierung Deutschlands erste Nationale
Sicherheitsstrategie veröffentlicht. Darin ist von „integrierter Sicherheit“
die Rede – traditionelle und nicht traditionelle Sicherheitsmaßnahmen werden zusammen gedacht. Das
bleibt richtig. Die dort beschriebenen zivilen und militärischen Ansätze müssen
konsequenter und kohärenter umgesetzt und zuletzt auch überprüft werden. Dem
Recht des Stärkeren kann Deutschland nur etwas entgegensetzen, wenn es
militärisch eine neue, stärkere Rolle findet und sich gleichzeitig auf seine
zivilen Stärken als globaler Akteur besinnt.