Die „Wirtschaftsweisen“ senken die Konjunkturprognose für 2025 auf 0,0 Prozent. Im Interview mit WELT TV sagt Veronika Grimm, Mitglied des Sachverständigenausschusses: „Die Handelskonflikte, die Donald Trump losgetreten hat, dämpfen die Wirtschaft und erhöhen die Unsicherheit weltweit.“
WELT: Professor Veronika Grimm ist mir jetzt zugeschaltet, eine der fünf Wirtschaftsweisen. Frau Grimm, schön, dass Sie sich die Zeit für uns nehmen. Hallo.
Veronika Grimm: Hallo, ich grüße Sie.
WELT: Frau Professor Grimm, nun habe ich mich ein wenig gewundert: Dass Sie jetzt für dieses Jahr davon ausgehen, dass die deutsche Wirtschaft stagniert – das passt zu den Anpassungen, die man auch in der Bundesregierung und EU-seitig vorgenommen hat. Aber nun haben wir große Investitionspakete, Ausnahmen von der Schuldenbremse, Hunderte Milliarden, die locker gemacht werden sollen für Investitionen. Und im nächsten Jahr soll das auch nur für ein Prozent Wachstum reichen? Haben wir genug unternommen? Das ist ja eine ziemlich schwache Entwicklung.
Grimm: Ja. Es ist natürlich so, dass aktuell die Handelskonflikte, die Donald Trump losgetreten hat, die Wirtschaft dämpfen und die Unsicherheit weltweit erhöhen. Und das führt natürlich dazu, dass wir nochmal beim Wirtschaftswachstum eine Dämpfung erfahren. Die schuldenfinanzierten Investitionen, die jetzt geplant sind, die müssen natürlich erstmal losgetreten werden. Deswegen wird 2025 auch noch nicht so viel passieren. Wir haben ja noch nicht einmal einen Haushalt. Das heißt, man wird nicht viel von diesen Mitteln verausgaben können. 2026 wird es dann schon stärker zu Buche schlagen. Und deswegen erwarten wir 2026 auch einen Anstieg des Wachstums auf ein Prozent. Das liegt daran, dass die Unterauslastung in der Wirtschaft abnimmt. Die Wirtschaft ist ja aktuell sehr stark unterausgelastet – allerdings nicht der Tiefbau. Jetzt wird es darauf ankommen, dass Kapazitäten erhöht werden und das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaft steigt. Nur dann wird sich hier tatsächlich ein weiterer Wachstumsimpuls entfalten und diese Ausgaben nicht nur zu einem Strohfeuer führen. Wenn das nicht der Fall ist oder wenn man zu viel konsumorientiert ausgibt, dann kann es sogar sein, dass das eigentlich stärker den Preisdruck erhöht – also die Inflation erhöht bleibt. Und das wäre wiederum nicht gut. Also man muss politisch das schon sehr gut auch durch Strukturreformen flankieren, was man da tut.
WELT: Die neue Bundesregierung hat nicht sonderlich viel Zeit, da den Turbo zu zünden. Und wenn ich jetzt Teil davon wäre, würde ich mir ja wünschen, dass die fünf Wirtschaftsweisen dann auch einheitliche Maßgaben machen. Aber dem ist ja offenbar nicht so. Es gibt das ein oder andere Sondergutachten, was, glaube ich, auf Ihre Kappe auch geht, Frau Grimm. Wieso konnten Sie sich denn nicht auf einen ganz klaren Weg verständigen?
Grimm: Ja, das hätte ich mir auch gewünscht, dass wir da klarer für Reformen plädieren. Die Themen, die wir gesetzt haben – Bürokratieabbau, Strukturwandel und auch die Finanzpakete – das sind schon die richtigen Themen. Aber am Ende sind die Ausschnitte, die jetzt im Haupttext behandelt werden, mir nicht ambitioniert genug. Bei der Bürokratie muss man nicht nur die Verfahren anpassen, wie die Ratsmehrheit vorschlägt, sondern man muss auch Regeln hinterfragen. Man muss innovationshemmende Regulierungen konsequent hinterfragen und abbauen, wo sie die Innovationskraft des Landes bremsen. Beim Strukturwandel müssen wir nicht nur den Strukturwandel unterstützen und den Regionen helfen, sondern wir müssen vor allem durch Strukturreformen die Regionen in die Lage versetzen, ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. In der Wirtschaft und auch in den Menschen steckt viel Innovationskraft und Wachstumspotenzial, das aber eben nicht gehoben werden kann, wenn die Rahmenbedingungen unattraktiv sind. Und da hätte ich mir jetzt gewünscht, dass wir stärker plädieren für Steuerreformen, für Maßnahmen, die die Lohnnebenkosten absenken, und vor allem für Deregulierung – in dem Sinne, dass innovationshemmende Regeln abgebaut werden, damit auch die Regeln, die den fairen Wettbewerb unterstützen, sinnvoll durchgesetzt werden können.
WELT: Zumal ja auch bei den Lohnnebenkosten – die Kosten da mal zu senken – bisher überhaupt keine Reform in Sicht ist. Dabei wird ja öffentlich viel gestritten über Arbeit. Müssen wir mehr arbeiten? Wie sieht es eigentlich mit den Kita-Plätzen aus? Wie gestalten wir unsere Arbeit und Wirtschaft? Was ist von jedem zu erwarten? Was ist denn Ihre Position da? Also ist das tatsächlich weiterhin die Maßgabe, dass das nicht gehen wird, wenn wir so viel arbeiten wie bisher?
Grimm: Ja, wir werden eine große Herausforderung dadurch haben, dass durch den Renteneintritt der Babyboomer-Generation das Arbeitsvolumen deutlich abnehmen wird in den kommenden Jahren. Das müssen wir kompensieren. Und da können wir nicht nur die Maßnahmen vorantreiben, die eigentlich von jedem als sinnvoll erachtet werden, weil sie eben nicht schmerzhaft sind. Mehr Kinderbetreuung ist natürlich sinnvoll. Arbeit mobilisieren, indem man Anpassungen in den sozialen Sicherungssystemen vornimmt – sodass die Arbeitsanreize wieder höher werden – das ist schon kontroverser. Migration in den Arbeitsmarkt müssen wir auslösen, auch ein ganz wichtiges Thema. Und vor allem müssen wir schauen, dass wir auch automatisieren und digitalisieren – sowohl im Gesundheits- und Pflegebereich als auch in der öffentlichen Verwaltung – sodass dort nicht so viele Fachkräfte benötigt werden und mehr Fachkräfte zur Verfügung stehen für das Verarbeiten im Gewerbe, die Wertschöpfung, die tatsächlich auch zu Wachstum führt, und für den Hightech-Sektor im Dienstleistungsbereich. Also da müssen wir deutliche Fortschritte machen. Und das sind nicht alles Maßnahmen, auf die man sich gesellschaftlich ganz einfach einigen kann. Da sind auch dicke Bretter zu bohren.
WELT: Eine Branche, wo es bisher auch wirklich finster aussah, das war die Baubranche. Da erwarten Sie jetzt aber ein bisschen Beschleunigung im nächsten Jahr. Was konkret kann man sich denn da erhoffen und erwünschen?
Grimm: In der Baubranche ist die Unterauslastung aktuell hoch – bis auf den Tiefbau. Der Tiefbau ist aber der Bereich, den wir sehr stark brauchen werden, um diese ganzen Investitionsvorhaben voranzubringen. Das heißt, wir sind darauf angewiesen, auch die Rahmenbedingungen für zusätzliche Kapazitätsaufbauten im Bereich des Tiefbaus zu stärken. Weil sonst haben wir schnell die Situation, dass diese zusätzlichen Investitionsmittel nur die Preise treiben. Und das ist natürlich nicht besonders wünschenswert.
WELT: Dann kriegen wir das Gleiche quasi für nur mehr Geld.
Grimm: Für mehr Geld – genau. Da müsste man natürlich auch an die Bürokratie ran.
WELT: Ich danke Ihnen ganz herzlich für diese schnelle Analyse, diese ja wirklich vielen auch sehr hochhängenden Themen, die es jetzt anzugehen gilt. Dankeschön.
Grimm: Ich danke Ihnen.
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