Die Handelskammern von Hamburg und London schließen ein Abkommen zu einer umfassenden Kooperation. Sie wollen die neue Annäherung zwischen Großbritannien und der EU auf der wirtschaftlichen Ebene konkretisieren und vertiefen – und den Protektionismus zurückdrängen.
Die Politik würde Karim Fatehi an diesem Montagnachmittag in der Handelskammer Hamburg am liebsten ganz ausklammern, aber das ist schwierig. Denn im Lancaster House in London verhandeln am selben Tag die Delegationen der Europäischen Union und Großbritanniens über eine umfangreiche Wiederannäherung nach dem Brexit – es ist das erste Gipfeltreffen beider Seiten seit Großbritanniens Austritt aus der EU Ende Januar 2020.
Einen Neustart, mehr Zusammenarbeit, genau das wollen auch die Handelskammern von London und Hamburg mit ihrem Kooperationsabkommen erreichen, das am Dienstag in Hamburg unterzeichnet werden soll. „Wenn wir zusammenarbeiten, können wir die Stärken unserer beiden Standorte bündeln“, sagte Fatehi, Chef der London Chamber of Commerce and Industry, der WELT. „Es gibt ein großes Potenzial, wenn wir unsere Kräfte bündeln. Unser Erfolg ist Hamburgs Erfolg und umgekehrt.“ London ist vor allem ein weltweit herausragender Platz der Finanzbranche, Hamburg ist Deutschlands größter Industriestandort und Seehafen.
Hamburg und London verbinden jahrhundertealte Handelsbeziehungen. Doch selbst die wurden durch den Brexit beschädigt. Vermutlich würden sich die EU und Großbritannien noch heute schwertun, einander wieder anzunähern, wären da nicht der Krieg in der Ukraine und gäbe es nicht die chaotische Wirtschafts- und Sicherheitspolitik von US-Präsident Donald Trump. Beides zwingt Staaten zu neuen Kooperationen, die mit offenen Märkten und verbindlichen Handelsregeln Wachstum und Wohlstand erreichen wollen. Zugleich müssen die europäischen Mitgliedstaaten der Nato unabhängiger vom militärischen Schutzschirm der USA werden und gemeinsam mehr in ihre Verteidigung investieren. „Die guten Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien zu unterstützen, ist Teil einer größeren internationalen Strategie auch dafür, den Handel zu erleichtern“, sagt Fatehi.
Für den Chef der Londoner Handelskammer ist es äußerst heikel, politisch Stellung zu beziehen – deshalb vermeidet er es weitgehend. Denn die britischen Populisten um Nigel Farage und dessen neue Partei Reform UK sind nach wie vor stark, wie die zurückliegende Kommunalwahl im Mai gezeigt hat. Die Briten wissen zwar, dass der Brexit dem Vereinigten Königreich wirtschaftlich massiv geschadet hat und dass die illegale Einwanderung seit dem Austritt aus der EU sogar weiter gestiegen ist. Dennoch erscheint es extrem unwahrscheinlich, dass sich Großbritannien erneut einer jahrelangen, tiefgreifenden und schmerzhaften Debatte darüber aussetzen wird, ob es Teil der EU sein will oder nicht. Premierminister Keir Starmer (Labour) sucht vor diesem Hintergrund so viel Nähe wie möglich und so viel Distanz wie nötig zur Europäischen Union und zur Europäischen Kommission.
Die Handelskammern von Hamburg und London wollen am Dienstag, im Beisein des britischen Botschafters in Deutschland, ein vierseitiges Partnerschaftsabkommen besiegeln. Dass beide Kammern explizit für den Freihandel eintreten, soll auch das zugleich in der Handelskammer laufende Dubai Business Forum unterstreichen. Man sehe „signifikante Potenziale“ um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu vertiefen und auszuweiten, heißt es in dem Abkommen. Fördern wollen die beiden Handelskammern unter anderem neue – und auch bestehende – Netzwerke von Unternehmen, länderübergreifende Startup-Unternehmen, die technologische Entwicklung und die Suche nach Fachkräften. Aber auch die urbane Entwicklung und ein vertiefter Klimaschutz stehen auf der Agenda des Abkommens.
Die Handelskammer Hamburg hat rund 180.0000 Mitgliedsunternehmen jeder Größe, bei der London Chamber of Commerce and Industry sind es rund 10.000. Allerdings sind Unternehmen in Deutschland gesetzlich zu einer Mitgliedschaft in einer Handelskammer verpflichtet, die Londoner Kammer ist ein privatwirtschaftliches Unternehmen. „Der Brexit ist Realität – doch erfolgreiche wirtschaftliche Beziehungen basieren auf Vertrauen, kontinuierlichem Austausch und gemeinsamer Innovationskraft“, sagte Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Malte Heyne der WELT. „Mit der neuen Kammerpartnerschaft zwischen London und Hamburg schaffen wir genau dafür eine Plattform.“ Hamburg und London setzten mit der neuen Partnerschaft „ein starkes Signal: für offenen Handel, nachhaltige Transformation und die Bedeutung starker Städte- und Kammerbeziehungen“.
Karim Fatehi gehört dem Vorstand der London Chamber of Commerce an Industry seit 2022 an. Mehr als 25 Jahre lang arbeitete er als Chef des von ihm 1995 gegründeten Unternehmens United Corporation, das umfangreiche Dienstleistungen vor allem für die Energiebranche erbringt, speziell auch für die Offshore-Öl- und -Erdgas-Industrie. Fatehi hat die wirtschaftlichen Rückschläge und Schäden durch den Brexit bei etlichen Unternehmen gesehen. Noch Schlimmeres könnte durch Trumps erratische Zollpolitik in den kommenden Jahren auf globaler Ebene drohen. „Handel ist immer der beste Weg, um voranzukommen“, sagte Fatehi. „Trotz all dieser Herausforderungen bleibt London resilient und als eine globale Drehscheibe offen für den Handel.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland.