Eigentlich nehmen sie es in Heidenheim nicht so genau mit Gesetzen. Zwar gibt es auf der Ostalb durchaus so etwas wie schwäbische Rechtschaffenheit, und auch Frank Schmidt, dem berühmtesten Sohn der Stadt, kann man keinesfalls vorwerfen, dass er sich nicht an Vorschriften und Gepflogenheiten halten würde. Doch im Fußball widersetzt sich der ortsansässige Fußballklub schon seit zig Jahren den Regeln, die in dieser Branche gelten.
Oder wie ist es sonst zu erklären, dass Schmidt schon seit 2007 auf der Trainerbank des 1. FC Heidenheim sitzt und den Verein aus der Oberliga Baden-Württemberg bis in die sogenannte Conference League geführt hat, in der dem Vernehmen nach nicht nur Teams aus Baden-Württemberg, sondern aus ganz Europa mitspielen?
Selbstverständlich konnte es nur so weit kommen, weil die Heidenheimer all die Aufgaben, die sich ihnen stellten, auf ihre ureigene Art angingen und sich damit auch so manchem Branchengesetz widersetzten – jedenfalls bis jetzt, bis zu diesem 0:2 Halbzeitrückstand gegen die SV Elversberg, die am Donnerstag zum Hinspiel der Bundesliga-Relegation auf den Schlossberg kam.
Dieses Mal konnte weder Schmidt noch seine Mannschaft etwas ausrichten, gegen all die Kräfte, die im Abstiegskampf wirken – und die Regeln, die nun mal gelten. Etwa diese, Paragraf eins des Bundesliga-Gesetzbuchs, kurz BGB: Wer vorne allzu verschwenderisch mit seinen Chancen umgeht, handelt sich hinten irgendwann selbst ein Tor ein. Und so kam es dann auch am Donnerstagabend.
Das Spiel war gerade einmal eine Minute alt, als der Heidenheimer Niklas Dorsch nach einer Elversberger Ecke in der eigenen Hälfte loslief, über den halben Platz rannte und alleine auf das gegnerische Tor zusteuerte. Der Versuch, Torwart Nicolas Kristof zu umlaufen, misslang allerdings. Wenig später war es dann Marvin Pieringer, der sich in bester Schussposition für einen Querpass entschied (7.), bevor auch Frans Krätzig (11.) und Adrian Beck (17.) gute Torchancen ungenutzt ließen. Kurz darauf brachte Lukas Petkov die Gäste aus Elversberg in Führung (18.).

Es war eine rasante Anfangsphase, die erstklassige Unterhaltung bot. Heidenheim gegen Elversberg: Das mag zwar eher nach Regionalliga Südwest als nach Bundesliga klingen, doch die 90 Minuten waren deutlich spannender als jeder Gesetzestext.
Als der Elversberger Fisnik Asllani kurz vor der Pause eine bundesligareife Kombination mit dem 0:2 abschloss (42.), nahmen die Aufstiegsträume der Gäste schon Konturen an. Und als Heidenheim in Person von Omar Traoré in der Nachspielzeit der ersten Hälfte doch noch traf (45.+3), meldete sich der Videoassistent und verweigerte dem Anschlusstreffer die Anerkennung. Selbstverständlich unter Bezug auf Paragraf zwei des BGB: Wer erst kein Glück hat, hat dann auch noch Pech.
Zur Halbzeit reagierte Schmidt und wechselte seine zwei besten Fußballer ein: Paul Wanner und Leonardo Scienza. Vor dem Spiel war das ja die spannendste Frage gewesen: Würde Heidenheims Trainer wieder seinen Arbeitern den Vorzug geben oder dieses Mal doch seine Künstler aufbieten, jetzt, da seine Mannschaft qua Bundesliga-Zugehörigkeit ausnahmsweise mal als Favorit in die Partie ging?
Die Entscheidung fällt im Rückspiel am kommenden Montag
Schmidt entschied sich zunächst für die Arbeiter und überlegte es sich nach 45 Minuten doch anders. Seine Mannschaft aber schien nahtlos an die erste Hälfte anzuknüpfen. Nach einer guten Torchance des Elversbergers Muhammed Damar (48.) scheiterte erst Mathias Honsak an der Latte (59.), dann vergab der ebenfalls eingewechselte Budu Zivzivadze Sekunden später aus bester Position (59.). Doch dann nahm das Spiel plötzlich eine Wende, die sich – es war schließlich der FCH – allen Gesetzen entzog.
Durch Tore von Tim Siersleben (62.) und Mathias Honsak (65.) machte der Bundesligist den Rückstand binnen drei Minuten wett und war emotional plötzlich obenauf. Ein weiteres Tor gelang Heidenheim trotz einiger Annäherungen allerdings nicht mehr. Es blieb beim 2:2, und so könnte sich der Bundesligist dank seiner Aufholjagd im Rückspiel doch noch retten. Auch das würde einem Gesetz folgen: Seit der Wiedereinführung der Relegation zur Saison 2008/09 hat sich in 13 von 16 Duellen der Erstligist durchgesetzt.