Der Streit über Israel und seine Gaza-Politik überlagert den Eurovision Song Contest (ESC) auch nach der Veranstaltung, die am Wochenende in Basel stattfand. Am Donnerstag hat auch der Gewinner des musikalischen Wettbewerbs, der österreichische Sänger Johannes Pietsch, einen Beitrag dazu geleistet.
Er forderte laut „El País“ einen Ausschluss Israels für nächstes Jahr. Nachdem seine Aussage Wellen geschlagen hatte, versuchte er, sie zu relativieren, und sprach von Missverständnissen. Doch die Debatte über einen Ausschluss Israels wird durch viele befeuert.
„Zu diesem Thema werde ich mich nicht weiter äußern“
Pietsch, der auf dem ESC mit dem Künstlernamen JJ auftrat, wurde von der spanischen Zeitung nach dem Thema gefragt. „Es ist sehr enttäuschend zu sehen, dass Israel weiterhin am Wettbewerb teilnimmt“, sagte er demnach. „Ich würde mir wünschen, dass der Eurovision Song Contest nächstes Jahr in Wien stattfindet – und ohne Israel.“ Er verwies auf die European Broadcasting Union (EBU), die als Zusammenschluss von Rundfunkanstalten aus Dutzenden Ländern die Musikshow ausrichtet. „Der Ball liegt bei der EBU“, sagt er. „Wir Künstler können nur unsere Stimmen zu diesem Thema erheben.“
Der ORF, der für Österreich Veranstalter des ESC ist, teilte dazu mit, die Äußerungen gäben JJs Privatmeinung wieder und stünden in keinem Zusammenhang mit dem öffentlich-rechtlichen Medienhaus: „Für den ORF stehen beim ESC die Musik und die künstlerischen Darbietungen im Vordergrund. Die EBU hat zudem eindeutige Richtlinien, die Politik von Unterhaltung trennen. Sie ist die einzige Instanz, die über die Teilnahme oder den Ausschluss von Ländern entscheidet.“

Auf Nachfrage der Austria Presseagentur erklärte JJ: „Es tut mir leid, falls meine Worte missverstanden wurden. Obwohl ich die israelische Regierung kritisiere, verurteile ich jegliche Form von Gewalt gegen Zivilisten überall auf der Welt – sei es gegen Israelis oder Palästinenser. Zu diesem Thema werde ich mich nicht weiter äußern.“
Der Vierundzwanzigjährige wurde als Sohn eines Österreichers und einer Philippinerin in Wien geboren und hat einen Teil seiner Kindheit in Dubai verbracht. An der Wiener Staatsoper wurde er musikalisch ausgebildet. Mit seinem Lied „Wasted Love“ erhielt er in der Summe von Jury- und Publikumsvoten die meisten Punkte beim diesjährigen ESC. Allein bei den Publikumsvoten lag allerdings die israelische Teilnehmerin Yuval Raphael vorn, eine Überlebende des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023.
Pedro Sánchez vergleicht Israel mit Russland
Weil die absoluten Zahlen der jeweils landesweit vergebenen Zuschauerstimmen nicht veröffentlicht werden, ranken sich um diese Ergebnisse immer wieder Fragen. JJ sagte dazu: „Gerade beim Thema Televoting sollte es mehr Transparenz geben. In diesem Jahr lief diesbezüglich alles sehr merkwürdig ab.“

In Spanien fordert Ministerpräsident Pedro Sánchez, Israel nicht mehr antreten zu lassen. Er zieht dabei einen Vergleich zu Russland. „Wir dürfen keine doppelten Standards zulassen, auch nicht in der Kultur“, sagte Sánchez, der zuvor Israel wegen der Gaza-Offensive als „Genozid-Staat“ bezeichnet hatte. Wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine dürfe Russland nicht mehr am ESC teilnehmen. Das müsse auch für Israel gelten. Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, sagte im ZDF, Sánchez sollte sich schämen. Bei einem Ausschluss Israels sollte Deutschland „klare Kante“ zeigen und nicht mehr am ESC teilnehmen. Der öffentlich-rechtliche Sender RTVE, dessen Führung die spanische Regierung besetzt, hatte schon vor dem Finale eine Debatte über einen Ausschluss Israels gefordert.
Österreichs Außenministerin Beate Meinl-Reisinger sagte: „Der Vergleich zwischen Israel und Russland ist vollkommen unangebracht. Jede Verharmlosung von Terror und Antisemitismus ist mit den Werten unserer Gesellschaft unvereinbar. Es ist nicht hinnehmbar, Künstlerinnen und Künstler für die Politik ihrer Regierungen verantwortlich zu machen. Über die Teilnahme am Song Contest entscheidet ausschließlich der Veranstalter.“
Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten beim Publikumsvoting
Schon im Dezember verlangte die slowenische Rundfunkanstalt RTVSLO, Israel nicht mitsingen zu lassen. Zweierlei Maß hatten in einem offenen Brief auch 72 ehemalige ESC-Teilnehmer der EBU vorgeworfen und verlangt, Israel wie Russland zu behandeln und nicht teilnehmen zu lassen. Zu den Unterzeichnern gehört auch der Portugiese Salvador Sobral, der 2017 gewonnen hatte. Die EBU weist jedoch darauf hin, dass nicht Staaten, sondern Sender Mitglieder der Union seien. Diese hätten sich „an die Werte öffentlich-rechtlicher Medien“ zu halten, was russische Sender im Gegensatz zur israelischen KAN nicht tun.
Die EBU hatte die spanische RTVE nach deren Angaben unter Androhung hoher Geldstrafen davor gewarnt, während der Liveübertragungen politische Botschaften zu verbreiten. Dennoch hatten RTVE-Kommentatoren die Zehntausenden Toten in Gaza erwähnt, und es wurde die Botschaft eingeblendet: „Wenn Menschenrechte auf dem Spiel stehen, ist Schweigen keine Option: Gerechtigkeit und Frieden für Palästina.“
Spanien und Belgien haben zudem Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten beim Publikumsvoting eingereicht, das die israelische Sängerin auf den zweiten Platz gebracht hatte – mit besonders vielen Stimmen aus Ländern wie Spanien, Belgien und Irland, die die israelische Gaza-Offensive heftig kritisieren. Der belgische Sender VRT sieht „offene Fragen“ zu dem System, das manipulationsanfällig sei. VRT unterstützt nicht nur die Forderung nach einer Debatte über die Teilnahme Israels, sondern stellt auch seine künftige ESC-Teilnahme infrage.
Laut RTVE haben sich neben Belgien auch andere Staaten an die EBU gewandt, weil sie der Ansicht seien, „dass das Televoting durch die aktuellen militärischen Konflikte beeinflusst wurde und dies den kulturellen Charakter der Veranstaltung gefährden könnte“. Die EBU teilte mit, man nehme die Bedenken ernst und suche das Gespräch mit den Mitgliedern.