In vier Wochen spielt Timo Boll, 44, seinen letzten Ball, am 15. Juni, wenn in Frankfurt das Endspiel um die deutsche Tischtennismeisterschaft zwischen Bolls Borussia Düsseldorf und den TTF Liebherr Ochsenhausen steigt. Seine internationale Karriere hat Boll bereits vor neun Monaten bei den Olympischen Spielen in Paris beendet; bei der Individual-Weltmeisterschaft in Doha ist er in dieser Woche nicht mehr dabei. Und das ist zu spüren im Lager der deutschen Männer.
Man muss sich bloß noch einmal den erfolgreichsten deutschen Spieler im Männereinzel bei den letzten Individual-Weltmeisterschaften vergegenwärtigen: 2011 Bronze für Boll in Rotterdam, 2013, 2015 und 2017 Boll im Viertelfinale, 2019 Boll im Achtelfinale und 2021 noch einmal Bronze in Houston. 2023 stand Dang Qiu als bester Deutscher im Achtelfinale, weil Boll da wegen Schulterschmerzen fehlte.

:Die Schlagfertige
„Manche Eltern schreiben mir, dass ich für ihre Kinder eine Inspiration bin“: Seit ihrem Olympiadebüt ist Annett Kaufmann, 18, so etwas wie Deutschlands Tischtennis-Influencerin. Nun tritt sie bei der WM an. Der Weg in die Weltspitze? Wird hart.
Nun ist wieder Individual-WM, und schon zur Wochenmitte ist mit Patrick Franziska nur noch einer von fünf deutschen Männern im Einzel vertreten. An diesem Mittwoch spielt er in der dritten Runde gegen den Südkoreaner Cho Daeseong. Im Achtelfinale winkt Franziska ein Duell mit dem starken Taiwaner Lin Yun-ju.
Die deutschen Frauen stehlen den Männern in Doha die Show
Vier deutsche Männer haben in dieser Woche ihre durch die Setzliste vorgegebenen Favoritenrollen nicht erfüllt: In Runde eins hat die Weltranglistennummer 20, Dimitrij Ovtcharov, wegen Bandscheibenproblemen aufgeben müssen. In Runde zwei hat die Nummer elf, Dang Qiu, gegen die Nummer 143, den Engländer Tom Jarvis, verloren. In derselben Runde hat die Nummer 35, Ricardo Walther, gegen die Nummer 150, den Belgier Adrien Rassenfosse, verloren. Und in der dritten Runde hat am Dienstag die Nummer 13, Benedikt Duda, gegen die Nummer 25, den Nigerianer Quadri Aruna, verloren.
Während das sportliche Erbe von Timo Boll also vorerst vakant bleibt, stehlen die deutschen Frauen in Doha den Männern die Show. Die 18 Jahre junge Annett Kaufmann zeigte in ihrem Zweitrundenspiel am Dienstag gegen die chinesische Weltranglistendritte Chen Xingtong ein Match, das ungefähr so unterhaltsam war wie ein Hollywood-Actionfilm. Die aktuelle Jugendweltmeisterin Kaufmann, Nummer 110 der Weltrangliste, bot der 27 Jahre alten Chinesin einen leidenschaftlichen Fight, verlor nach 50 umkämpften Minuten aber trotzdem mit 2:4.

„Das war ein super Match, sie hatte Angst, mental habe ich sie sogar dominiert“, sagte die Bietigheimerin hinterher selbstbewusst: „Ich bin erst 18, irgendwann gehe ich mit mehr Erfahrung an diesen Tisch.“ Das klang nicht zufällig wie eine Drohung an die Weltspitze. Kaufmann fügte sogar noch hinzu: „Ich weiß, dass ich seit Olympia bei den Chinesinnen auf dem Radar bin, und das Spiel heute war ein weiteres Ausrufezeichen; die sollen aufpassen in der Zukunft, weil ich komme!“
Im Einzel sind noch zwei deutsche Frauen vertreten
Mit der 42 Jahre alten gebürtigen Chinesin Xiaona Shan war zuvor zunächst nur eine deutsche Spielerin im Einzel ausgeschieden. Am Dienstagmittag kam dann eine dritte hinzu: Die in Eberswalde geborene Yuan Wan, 27, verlor gegen die Japanerin Miwa Harimoto. Doch mit Sabine Winter (Drittrundenspiel am Mittwoch gegen die Japanerin Satsuki Odo) und Ying Han (Drittrundenspiel am Mittwoch gegen die Chinesin Wang Manyu) bleiben zunächst noch zwei deutsche Spielerinnen im Einzel vertreten.
Die gebürtige Chinesin Ying Han, 42, hat in den vergangenen eineinhalb Jahren die bemerkenswerteste Geschichte des deutschen Tischtennis geschrieben. Im Januar 2024 erlitt sie in Doha, also in derselben Halle, in der sie diese Woche spielt, einen Achillessehnenriss an der rechten Ferse, und als sie sechs Monate später in Bangkok kurz vor Olympia in Paris ihr Comeback feierte, erlitt sie einen Achillessehnenriss an der linken Ferse. Ein unglaublicher Zufall und ein unglaublicher Rückschlag für die in Shenyang geborene Wahl-Düsseldorferin. Danach hatte sie unweigerlich den Gedanken, ihre Karriere zu beenden. Doch sie kehrte zurück. Und wie! Im Februar gewann Han sensationell das Europe-Top-12-Turnier in Montreux. „Da war ich selbst überrascht“, sagte sie noch kurz vor der WM in Doha lachend.
Während Winter (Weltrangliste Nr. 43) gegen die japanische Kontrahentin Odo (Nr. 8) schon klare Außenseiterin ist, hängen für Han (Nr. 47) die Trauben gegen die Weltranglistenzweite Wang noch deutlich höher. Die bislang letzte deutsche Einzelmedaille bei den Frauen gewann 1969 Gabriele Geißler für die DDR bei der WM in München.
Einen Heimvorteil hat der Deutsche Tischtennis-Bund im Sinn. Er hat sich mit dem Austragungsort Berlin um die Individual-Weltmeisterschaft 2029 beworben. Die Entscheidung fällt nächste Woche Dienstag.