Für Katherina Reiche ist es ein Heimspiel. Die gebürtige Brandenburgerin und neue Bundeswirtschaftsministerin spricht vor den versammelten Vertretern der ostdeutschen Wirtschaft erst einmal über ihre Herkunft. „Ich bin nach wie vor gerne Brandenburgerin“, sagt die CDU-Politikerin. Hier, beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum in Bad Saarow am Scharmützelsee, bekommt Reiche am Montag wohlwollenden Applaus. Und das nicht in erster Linie wegen ihres Heimvorteils, sondern weil sich unter den Unternehmern die Hoffnung breitmacht, dass es der neuen Regierung gelingen wird, die jahrelange Wachstumsblockade in Deutschland zu lösen. Weit mehr als die Hälfte im Saal beurteilt den Start der Regierung Merz mindestens als gelungen. Wer sich mit Teilnehmern unterhält, hört immer wieder, dass die Ankündigungen zu weniger Bürokratie, günstigerer Energie und mehr Arbeitsanreizen in die richtige Richtung gehen.
Wirtschaftsministerin Reiche befeuert diese Hoffnung. „Wenn wir umsetzen, was wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben, dann schaffen wir die Trendwende“, verspricht sie und zählt auf, was das konkret sein soll. Im Zentrum steht bei der bisherigen Energiemanagerin der hohe Strompreis und die Versorgungssicherheit für die Kunden: Die Stromsteuer soll in einem Entlastungspaket schon in diesem Sommer auf einen europäischen Mindestsatz reduziert werden, Gaskraftwerke für eine gesicherte Leistung auf den Weg gebracht, Wasserstoff weniger streng reguliert und Wärmepumpen nicht weiter politisch zum Nonplusultra erklärt werden, zählt Reiche auf.
„Haben erlebt, was Transformation bedeutet, wenn sie nicht gut läuft“
Ihren Zuhörern will sie damit vor allem zwei Dinge signalisieren: Tempo und Pragmatismus. Noch am selben Tag will Reiche mit der Vizepräsidentin der EU-Kommission Teresa Ribera über die nötigen Regulierungsfragen sprechen, hebt sie hervor. Und überhaupt, es brauche nun einen „realistischen Blick“ und Tugenden, die Reiche vor allem in Ostdeutschland verortet. Die neuen Länder zeichnen sich durch Pragmatismus aus, sagt sie und dadurch, „es am Ende irgendwie hinzubekommen“. Da könne man sich etwas abgucken, auch von der Lust ins Risiko zu gehen und in Eigenverantwortung anzupacken.
Aus der Wende- und Umbruchzeit des Ostens für den Strukturwandel heute zu lernen – dieser Appell ist auf diesem Spitzentreffen immer wieder zu hören. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagt auf der Bühne: „Wir haben erlebt, was Transformation bedeutet, wenn sie nicht gut läuft. Wir haben erlebt, was passiert, wenn 80 bis 90 Prozent der Industrie einfach verschwinden.“ Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) spricht aus familiärer Erfahrung: „Mein Vater war Schlosser auf einem Baubetrieb, als der Betrieb pleite ging. Ich habe auch die Existenzsorgen miterlebt, aber vor allem auch die große Abwanderung meiner Mitschüler in den Westen“, berichtet die SPD-Politikerin im F.A.Z. Podcast für Deutschland in Bad Saarow.
„Wir sind ein reiches und erfolgreiches Land“
Neben allem damit verbundenen Schmerz hätten es die Ostdeutschen in der DNA, hungrig auf Erfolg zu sein, sagt Woidke. Und manches könne man sich von damals abgucken, die Infrastrukturoffensive im Verkehrsbereich zum Beispiel, als mit verkürzten Verfahren und eingeschränkten Klagemöglichkeiten in überschaubarer Zeit neue Straßen und Brücken entstanden. Ministerpräsidentin Schwesig betont, dass es durch die Krise Anfang der 1990er Jahre in Ostdeutschland eine hohe Empfindlichkeit und Sensibilität gebe. Diese sei auch deshalb so groß, weil es nur wenig Rücklagen gebe. Die Sozialdemokratin beklagt, dass viele Probleme zuerst in Ostdeutschland auftauchten, die Bundesregierung aber erst dann reagiere, wenn sie auch in Westdeutschland angekommen seien. Das gelte für den Mangel an Arbeitskräften, die Ausbreitung der Wölfe, die massive Schäden in der Landwirtschaft anrichteten, oder auch die medizinische Versorgung auf dem Land. Die neue Bundesregierung mache sich nun daran, die Fehler der Ampelregierung zu korrigieren. Auch Brandenburgs Regierungschef Woidke gibt sich zuversichtlich. „Alle Zutaten sind in Deutschland da“, sagt er. Es sei wie in der Küche, die Zutaten müssten nur rein in den Topf: „Wir sind ein reiches und erfolgreiches Land.“
Damit kann er sich auf aktuelle Zahlen des Ifo-Instituts berufen. Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigenstunde in Ostdeutschland, ein Gradmesser für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ist auf 86 Prozent des Westniveaus gestiegen. In acht der vergangenen zehn Jahre sind die Ostländer schneller gewachsen als die westdeutschen Bundesländer. Vor allem die Hauptstadt Berlin wächst dynamisch, aber auch an vielen anderen Orten tut sich etwas, wie Unternehmensansiedlungen in Dresden und anderen Städten zeigen. Die positiven Schilderungen decken sich mit Berichten von Teilnehmern im Saal. Ein Start-up-Förderer aus Jena etwa schwärmt von den vielen Forschungseinrichtungen dort und den vielen Gründungen rund um die Hightech-Themen Optik und Laser.
„Potential auf dem Arbeitsmarkt besser nutzen“
Von einer Glorifizierung des Ostens ist man allerdings weit entfernt bei diesem Wirtschaftsforum, das manche angesichts des steigenden Andrangs als kleines „Davos des Ostens“ bezeichnen. Drei Jahre Stagnation und Rezession, das schlage auch im Osten rein, sagt die Wirtschaftsministerin. Wachstumsschwäche, steigende Arbeitslosigkeit und zugleich Fachkräftemangel, zu wenige Investitionen, das alles seien auch die Themen Ostdeutschlands. Dazu die Wahlerfolge der AfD, die Reiche nicht erwähnt, die aber in Bad Saarow immer wieder thematisiert werden.
Die Wirtschaftsministerin lässt keinen Zweifel, dass sie anpacken will. Sie schlägt in dieselbe Kerbe wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), der die Deutschen aufgefordert hat, mehr zu arbeiten. „Wir müssen Arbeiten attraktiver machen und Mehrarbeit begünstigen“, sagt sie. Wie das gehen soll? Bürgergeld reformieren, Rentner und Menschen, die mehr als 40 Stunden die Woche arbeiten, mit Steueranreizen begünstigen. „Wir müssen das vorhandene Potential auf dem Arbeitsmarkt besser nutzen“, sagt Reiche. Auch in dieser Hinsicht könne man vom Osten lernen, schließlich würden hier die Mütter nach der Geburt ihrer Kinder viel schneller und umfangreicher in ihren Beruf zurückgehen als im Westen. Auch die Betreuungsangebote seien besser, so Reiche.
Sie setze zudem auf Aus- und Weiterbildung, auch die Zuwanderung aus dem Ausland will sie anpacken. Ob das alles in die richtige Richtung geht? „Mehr Leistungsbereitschaft, mehr Wettbewerbsfähigkeit, mehr Flexibilität“, da stehen wir voll dahinter, sagt der Geschäftsführer einer ostdeutschen Handelskammer, als Reiche schon wieder zum nächsten Termin aufgebrochen ist. Fehlen noch die konkreten Taten – aber die sollen ja schon im Sommer folgen.