Wer gehofft hatte, die von der neuen Bundesregierung ausgerufene Wende in der Migrationspolitik werde zu einer Versachlichung der Debatte führen, wurde am Mittwochnachmittag enttäuscht. Auf Verlangen der AfD fand im Bundestag eine Aktuelle Stunde zum Thema „Zahl der Messerangriffe in Deutschland steigt stark – Ursachen klar benennen und entschlossen handeln“ statt. Auslöser war der mutmaßlich von einem Syrer am Wochenende in Bielefeld begangene Messerangriff, bei dem mehrere Personen zum Teil schwer verletzt wurden.
Die etwas bedachtsameren Redner vergaßen immerhin nicht, den Opfern von diesem prominenten Debattenplatz aus Genesungswünsche zu senden. Im Wesentlichen beschränkte sich die etwa einstündige Debatte aber darauf, dass die AfD die Untergangsszenarien, die sie in der Migration nach Deutschland begründet sieht, bekräftigte und Politiker von der linken Seite des Parlaments die von rechtsextremistischen Tätern ausgehende Gefahr beschworen. Die Union feierte sich für ihre Migrationswende und die ersten Amtshandlungen des CSU-Innenministers Alexander Dobrindt. Der Erkenntnisgewinn war gering, die Prominenz der Redner ebenfalls.
Keine Sirenengesänge der AfD Richtung CDU
Den Auftakt hatte der AfD-Abgeordnete Martin Hess gemacht mit der Bemerkung, dass die Zahlen für Messerdelikte in Deutschland „explodieren“. Die von der Union versprochene Migrationswende bezeichnete Hess schon wenige Wochen nachdem die Koalition unter Kanzler Friedrich Merz mit dem Regieren begonnen hatte, als „Fehlanzeige“, die Maßnahmen an den Grenzen blieben wirkungslos. Nur die Alternative für Deutschland stelle sich dem „sicherheitspolitischen Desaster“ entgegen. Die AfD scheint nicht einmal ansatzweise zu versuchen, die Union mit migrationspolitischen Sirenengesängen zu sich zu locken.
Der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner bestritt nicht die Gefährdung der „offenen Gesellschaft“ durch den Islamismus, fügte allerdings sofort die Gefahr durch den Rechtsextremismus hinzu. Er verwies auf die Razzia am Mittwoch, bei der in mehreren Bundesländern junge Männer festgenommen worden waren wegen des Verdachts der Unterstützung einer rechtsextremistischen Vereinigung. Die Linken-Abgeordnete Clara Bünger bezeichnete es als „widerwärtig“, wie die AfD die Tat von Bielefeld „ausnutzen“ wolle. Sie sagte, der größte Teil der politisch motivierten Straftaten seien rechtsextremistisch motiviert. So nutzten die unterschiedlichen politischen Lager jeweils die Geschehnisse und Erkenntnisse, die ihre eigene Position stärkten.
Die christdemokratische Abgeordnete Christina Stumpp, die zugleich stellvertretende Generalsekretärin der CDU ist, sagte schon gegen Ende der Debatte, die Bürger erwarteten, „dass ausländische Straftäter unser Land verlassen müssen“. Stephan Mayer (CSU), einstmals Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium, erinnerte in dem Schlagabtausch wie andere Redner daran, dass die Gedanken zuerst bei den Opfern der Tat in Bielefeld sein sollten. Die Mehrheit der Bevölkerung habe „kein Verständnis“ für den politischen Streit darüber. Als Lösung empfahl Mayer, was die AfD nicht als solche erkennen will: die Migrationswende der Bundesregierung. Diese wirke, sagte er, und dankte seinem Parteifreund Alexander Dobrindt, dem Bundesinnenminister, für das Einleiten der Migrationswende.