Die Chance auf eine Aufrüstung der deutsch-italienischen Beziehungen ließ sich Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni nicht nehmen. Schon am Freitag hatte sie bei einem Gipfeltreffen europäischer Staats- und Regierungschefs in Albanien neben dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz gesessen, tags darauf räumte sie gleich den ganzen Abend für Merz frei. Obwohl es am Vortag der feierlichen Amtseinführung von Papst Leo XIV. in der italienischen Hauptstadt von Staatsgästen wimmelte, empfing sie den Deutschen im Hof ihres Regierungssitzes, dem Palazzo Chigi, mit militärischen Ehren, gefolgt von einem einstündigen Gespräch beider Delegationen, einer langen Pressekonferenz und anschließendem Abendessen.
Zuvor hatte Meloni den neuen kanadischen Ministerpräsidenten Mark Carney gesprochen, der in diesem Jahr die G7-Gruppe der wichtigsten Industriestaaten präsidiert. Merz hat sich für den frühen Sonntagmorgen mit dem Kanadier verabredet, bevor dann alle Politiker zusammen mit Hunderttausenden Gläubigen an der Messe auf dem Petersplatz für den Nachfolger von Papst Franziskus teilnehmen.
Merz, der noch als Kanzlerkandidat eine Reise nach Rom vermieden hatte, um keine Fotos mit der Parteivorsitzenden einer in Teilen postfaschistischen Partei zu ermöglichen, zeigte sich am Samstag von seiner freundlichsten Seite. Während sie von ihm bei der Pressekonferenz konsequent als „Cancelliere“ sprach, verwendete er häufig und gerne ihren Vornamen Georgia und das „Du“. Beide verstanden sich offenbar prächtig, was für die Italienerin eine neue Erfahrung ist nach der Zeit mit dem zurückhaltenden Olaf Scholz, der sie auch mehrfach politisch hart attackiert hatte. Meloni führt in Rom eine Koalition aus drei rechten bis sehr rechten Parteien.
Merz ist für Meloni ein angenehmerer Partner als Scholz
In der Sache betonten Merz wie Meloni vielfältige inhaltliche Übereinstimmung von der Wirtschafts- und Handelspolitik über militärische Fragen bis zur Migrationspolitik. Bei letzterer vor allem zahlt sich für Meloni der Regierungswechsel in Deutschland aus. Während sie für ihre Versuche, den Zuzug von Migranten über das Mittelmeer durch Abkommen mit nordafrikanischen Staaten und Verschärfungen der innenpolitischen Maßnahmen zu begrenzen, bei Grünen und SPD viel Kritik geerntet hatte, ist Merz erkennbar zu einem Vertrauensvorschuss bereit.
Angesprochen auf Melonis Projekt, auf See Aufgegriffene statt nach Italien in ein Lager in Albanien bringen zu lassen, sagte Merz, er kenne sehr wohl die italienische Rechtsprechung, die dieses Projekt bisher verhindert, aber es handele sich um einen interessanten Ansatz: sicher nicht die Lösung des Migrationsproblems, aber vielleicht eine Lösung. Seine Regierung werde jedenfalls bei einer härteren Migrationspolitik in Brüssel „nicht mehr auf der Bremse stehen“, versprach er.
Merz bemüht sich sichtlich, Meloni auch im Kreis der europäischen Staats- und Regierungschefs aufzuwerten. In Italien waren Presseberichte aus Deutschland stark beachtet worden, wonach im Koalitionsvertrag Italien nicht unter den „unverzichtbaren strategischen Partnern“ aufgezählt werde, weil die frühere Kanzler-Partei SPD das verhindert habe. Entsprechende Meldungen seien „falsch“, sagte Merz. In der Runde der Hauptverhandler habe es „zu keinem Zeitpunkt irgendeine streitige Diskussion über die Rolle Italiens in der Europäischen Union“ gegeben.
Allerdings war Meloni jüngst auch bei einem Besuch von Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Großbritannien, Polen und Deutschland in Kiew nicht dabei – anders als bei einer frühen Reise ihr Vorgänger Mario Draghi. Darauf angesprochen, wies Merz in der Pressekonferenz auf die Entstehungsgeschichte des „G3-Formats“ von Frankreich, Großbritannien und Deutschland hin, signalisierte aber auch, „dass Italien hier eine Rolle spielen muss“. Er habe sich bereits dafür eingesetzt, dass Polen wegen seiner räumlichen Nähe zur Ukraine zu der Gruppe gestoßen sei und werde in den nächsten Tagen mit anderen europäischen Partnern weitere Gespräche führen.
Spielt Meloni bald eine größere Rolle in Europa?
„Wir dürfen uns in der Europäischen Union nicht auseinanderdividieren lassen. Es gibt auch nicht Mitglieder erster oder zweiter Klasse“, sagte Merz. Das konnte als Hinweis darauf verstanden werden, dass Meloni bald in diese Gruppe aufgenommen werden könnte. Dagegen spricht allerdings das schlechte Verhältnis von Meloni zu Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und die Erfahrung der bisherigen Teilnehmer der Runde, dass die Koordination mit jedem weiteren Mitglied schwieriger wird.
Einen breiten Raum nahm auch die Vertiefung der deutsch-italienischen Wirtschaftsbeziehungen ein. Beide Staaten wollen insbesondere im Bereich des Mittelstandes und der Energieversorgung zusammenarbeiten. Meloni forderte ferner eine Abschwächung der Umweltpolitik in der EU, die sonst die industrielle Basis Europas zerstören könne. Sie warb für eine Unterstützung Deutschlands bei ihren Bemühungen im Bereich der Automobilindustrie, das bis 2035 umzusetzende Verbot des Verbrennermotors aufzuweichen; bei diesem Thema allerdings hielt sich Merz bedeckt.
Dagegen erkannte Merz ausdrücklich an, wie wichtig Melonis guter Kontakt zum US-Präsidenten Donald Trump für die Europäer ist, den sie seit seiner Wahl so oft getroffen hat wie keiner ihrer Kollegen. Auf eine Frage in der Pressekonferenz, was sie Merz bei seinem bevorstehenden Treffen mit US-Präsident Donald Trump empfehle, lachte Meloni: „Ich fühle mich nicht unbedingt in der Lage, die Psychologin der internationalen Führer zu geben.“ Trump verteidige die Interessen seines Landes und respektiere Politiker, die dies auch täten. Gleichwohl ist das Treffen in Rom für Merz eine gute Gelegenheit gewesen, sich Tipps für seinen Umgang mit Trump geben zu lassen.